»Ich hätte es nicht so ausdrücken sollen«, sagte er. »Es war nicht ihre Schuld. Es ist nur – sie werden sie nicht umbringen, aber Gott, wenn sie ihr etwas getan haben …«
»Das tun sie nicht«, sagte Roger fest. »Was ist passiert?«
Fraser zuckte mit den Achseln und schloss die Augen. Er lehnte den Kopf zurück und beschrieb die Szene, als könnte er sie immer noch sehen, eingraviert in die Innenseite seiner Augenlider. Vielleicht war es auch so.
»Ich habe nicht auf das Mädchen geachtet, nicht in einer solchen Menschenmenge. Ich könnte nicht einmal sagen, wie sie ausgesehen hat. Ich habe sie erst im letzten Moment gesehen.«
Claire hatte an seiner Seite gestanden, blass und angespannt im Gedränge der schreienden, schwankenden Körper. Als die Indianer mit dem Priester fast fertig waren, hatten sie ihn von dem Pfahl losgebunden und ihn stattdessen an einen langen Balken gebunden, der über seinen Kopf gehalten wurde und von dem sie ihn in die Flammen herablassen wollten.
Fraser sah ihn an und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen.
»Es war nicht das erste Mal, dass ich gesehen habe, wie einem Mann das Herz bei lebendigem Leib aus der Brust gerissen wird«, sagte er. »Aber ich habe noch nie gesehen, wie es vor seinen Augen gegessen wird.« Er klang fast verlegen, als entschuldigte er sich für seine Zimperlichkeit. Erschrocken hatte er Claire angeblickt. Erst da hatte er das Indianermädchen erblickt, das mit einer Babytrage im Arm an Claires anderer Seite stand.
Mit großer Ruhe hatte das Mädchen Claire das Baby überreicht, sich dann abgewandt und war durch die Menge geschlüpft.
»Sie hat nicht nach links oder rechts gesehen, sondern ist geradewegs in das Feuer gegangen.«
»Was?« Der Schreck schnürte Roger die Kehle zu, und sein Ausruf kam als ersticktes Krächzen heraus.
Die Flammen hatten das Mädchen in Sekunden umarmt. Da er einen Kopf größer war als die Leute um ihn herum, hatte Jamie alles deutlich gesehen.
»Ihre Kleider haben Feuer gefangen und dann ihre Haare. Als sie bei ihm ankam, hat sie gebrannt wie eine Fackel.« Dennoch hatte er die dunkle Silhouette ihrer Arme gesehen, die sie erhoben hatte, um den entseelten Körper des Priesters zu umarmen. Innerhalb von Sekunden war es nicht mehr möglich, Mann oder Frau zu unterscheiden; es gab nur noch eine Gestalt, schwarz inmitten der hochschießenden Flammen.
»Und in diesem Moment brach die Hölle los.« Frasers breite Schultern sackten ein wenig zusammen, und er berührte den Riss an seiner Schläfe. »Alles, was ich weiß, ist, eine Frau fing an zu heulen, und dann gab es ein höllisches Gekreische, und ganz plötzlich waren alle entweder auf der Flucht oder prügelten aufeinander los.«
Er selbst hatte beides versucht, indem er Claire und ihre Bürde abschirmte, während er sich aus dem wilden Gedränge herausboxte. Da es unmöglich war zu entkommen, hatte er Claire gegen die Wand eines Langhauses gedrückt, einen Holzstock zur Verteidigung ergriffen und nach Ian gerufen, während er seine improvisierte Keule gegen jeden schwang, der so gedankenlos war, in seine Nähe zu kommen.
»Dann ist einer von den kleinen Teufeln aus dem Rauch hervorgehüpft und hat mit seiner Keule auf mich eingeschlagen.« Er zuckte mit einer Schulter. »Ich habe mich umgedreht, um ihn abzuschütteln, und dann hatte ich drei von ihnen am Hals.« Irgendetwas hatte ihn an der Schläfe erwischt, und er hatte nichts mehr mitbekommen, bis er neben Roger in dem Langhaus aufwachte.
»Seitdem habe ich Claire nicht mehr gesehen. Und Ian auch nicht.«
Das Feuer war bis auf die Holzkohle heruntergebrannt, und es wurde kalt in dem Langhaus. Jamie öffnete seine Brosche, zog sich das Plaid um die Schultern, so gut er es mit einer Hand konnte, und lehnte sich vorsichtig an die Wand zurück.
Es war möglich, dass sein rechter Arm gebrochen war; er hatte einen Keulenhieb knapp unter der Schulter abbekommen, und die getroffene Stelle ging ohne Vorwarnung von Taubheit in beißenden Schmerz über. Das spielte aber keine große Rolle, verglichen mit seiner Sorge um Claire und Ian.
Es war sehr spät. Wenn Claire bei dem Handgemenge nicht verletzt worden war, dann war sie wohl einigermaßen in Sicherheit, redete er sich ein. Die alte Frau würde nicht dulden, dass sie zu Schaden kam. Doch was Ian anging – einen Augenblick lang verspürte er trotz seiner Furcht Stolz auf den Jungen. Ian war ein prächtiger Kämpfer, und er machte seinem Onkel, der es ihm beigebracht hatte, alle Ehre.
Doch falls Ian überwältigt worden war … es waren so viele Wilde gewesen, und es war bei dem Kampf so heiß hergegangen …
Er schob sich unruhig hin und her und versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie er seiner Schwester mit schlechten Nachrichten über ihren jüngsten Sohn gegenübertreten sollte. Himmel, es wäre ihm lieber, wenn man ihm selbst das Herz aus der Brust riss und vor seinen Augen aufaß; es würde sich in etwa genauso anfühlen.