»Nein«, sagte ich scharf. »Nein. Wir müssen es ihm sagen. Brianna tut es sowieso. Besser, wenn er es jetzt erfährt. Wenn es für ihn einen Unterschied macht, dann ist es besser, wenn er es weiß, bevor er sie sieht.«
Jamie presste die Lippen fest zusammen, doch er nickte.
»Aye«, sagte er. »Dann sag’s ihm.«
»Was denn?« Rogers dunkles Haar war lose und hob sich im Abendwind. Seit wir ihn gefunden hatten, hatte er noch nicht so lebendig ausgesehen, alarmiert und aufgeregt zugleich. Ich biss in den sauren Apfel.
»Es könnte sein, dass es nicht dein Kind ist«, sagte ich.
Im ersten Augenblick veränderte sich sein Ausdruck nicht; dann erreichten ihn die Worte. Er packte mich an den Armen, so plötzlich, dass ich erschreckt aufheulte.
»Was meinst du damit? Was ist passiert?«
Jamie bewegte sich wie eine Schlange beim Angriff. Er gab Roger einen kurzen, harten Kinnhaken, so dass er mich losließ und rückwärts auf dem Boden landete, alle viere von sich gestreckt.
»Sie meint, dass meine Tochter vergewaltigt worden ist, als Ihr sie sich selbst überlassen habt«, sagte er grob. »Zwei Tage, nachdem Ihr ihr beigewohnt habt. Also ist das Kind vielleicht von Eurem Besuch, vielleicht auch nicht.«
Er funkelte zu Roger herunter.
»Also. Wollt Ihr ihr beistehen oder nicht?«
Roger schüttelte den Kopf, um ihn wieder klarzubekommen, und stand langsam wieder auf.
»Vergewaltigt? Wer? Wo?«
»In Wilmington. Ein Mann namens Stephen Bonnet. Er –«
»Das habe ich gesagt.« Plötzlich brach die ganze Wut hervor, die Jamie seit unserem Aufbruch aus dem Dorf unterdrückt hatte. Er packte Roger an der Kehle und donnerte ihn gegen einen Baumstamm.
»Und wo wart Ihr, als es geschehen ist, Feigling? Sie war wütend über Euch, also seid Ihr weggelaufen und habt sie alleingelassen! Wenn Ihr schon der Meinung wart, Ihr müsstet gehen, warum habt Ihr sie dann nicht erst in Sicherheit gebracht?«
Ich ergriff Jamies Arm und riss daran.
»Lass ihn los!«
Er gehorchte und machte schwer atmend einen Satz rückwärts. Erschüttert und fast genauso wütend wie Jamie schüttelte Roger seine zerwühlten Kleider aus.
»Ich bin nicht gegangen, weil wir uns gestritten hatten! Ich bin gegangen, um das hier zu suchen!« Er ergriff eine Handvoll Stoff von seiner weiten Kniehose und riss daran. Ein hellgrüner Funke leuchtete auf seiner Handfläche auf.
»Ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt, um an das hier zu kommen, damit ihr Rückweg durch die Steine gesichert war! Wisst Ihr, wohin ich gegangen bin, um sie zu besorgen, von wem ich sie habe? Stephen Bonnet! Deshalb habe ich so lange gebraucht, um nach Fraser’s Ridge zu kommen; er war nicht da, wo ich es erwartet hatte; ich musste an der Küste auf und ab reiten, um ihn zu finden.«
Jamie war erstarrt und sah die Edelsteine unverwandt an. Ich auch.
»Ich bin auf Stephen Bonnets Schiff aus Schottland gekommen!« Roger wurde etwas ruhiger. »Er ist ein – ein –«
»Ich weiß, was er ist.« Jamie regte sich und brach seine Trance. »Aber was er außerdem vielleicht ist, ist der Vater des Kindes meiner Tochter.« Er warf Roger einen langen, kalten Blick zu. »Also frage ich Euch, MacKenzie; könnt Ihr zu ihr zurückgehen und mit ihr zusammenleben, auch wenn Ihr wisst, dass es wahrscheinlich Bonnets Kind ist, das sie bekommt? Denn wenn Ihr es nicht tut – dann sagt es jetzt, denn ich schwöre, wenn Ihr zu ihr geht und sie schlecht behandelt … dann töte ich Euch, ohne noch einmal darüber nachzudenken.«
»Du meine Güte!«, platzte ich heraus. »Lass ihn doch einen Augenblick überlegen, Jamie! Kannst du nicht sehen, dass er noch nicht die geringste Chance gehabt hat, es zu verdauen?«
Rogers Faust schloss sich fest um die Juwelen und öffnete sich dann wieder. Ich konnte ihn atmen hören, schwer und abgehackt.
»Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich weiß es nicht!«
Jamie bückte sich und hob einen der Steine auf, der Roger aus der Hand gefallen war. Er schleuderte ihn Roger vor die Füße.
»Dann geht!«, sagte er. »Nehmt Eure verfluchten Steine und sucht Euren verflixten Kreis. Fort mit Euch – denn meine Tochter braucht keinen Feigling.«
Er hatte die Pferde noch nicht abgesattelt; er ergriff seine Satteltaschen und hievte sie über den Rücken des Pferdes. Er band sein und mein Pferd los und stieg in einer fließenden Bewegung auf.
»Komm«, sagte er zu mir. Ich sah Roger hilflos an. Er starrte zu Jamie hinauf; seine grünen Augen glitzerten im Feuerschein und leuchteten wie der Smaragd in seiner Hand.
»Geht«, sagte er leise zu mir, ohne den Blick von Jamie abzuwenden. »Wenn ich kann – dann komme ich.«
Meine Hände und Füße schienen nicht mir zu gehören; sie bewegten sich problemlos, ohne dass ich sie steuerte. Ich ging zu meinem Pferd, steckte meinen Fuß in den Steigbügel, dann war ich oben.
Als ich mich umsah, war selbst der Schein des Feuers schon verschwunden. Hinter uns war nichts als Dunkelheit.
Kapitel 62
Der Dreidrittelgeist