Danach kam eine gespannte Pause, die nur durch das leise Plätschern von Eutroclus’ Staken am Bug unterbrochen wurde. Ich blickte um die Ecke und sah Jamie, der seinen zerknirscht wirkenden Neffen wütend anstarrte. Ian warf mir einen Blick zu, hustete und räusperte sich.
»Also, ich sag dir, Onkel Jamie, wenn ich glauben würde, dass es hilft, mich zu schämen, dann hätte ich keine Skrupel, rot zu werden!«
Er setzte eine so überzeugende Armesündermiene auf, dass ich lachen musste. Als Jamie mich hörte, drehte er sich um, und sein finsteres Gesicht hellte sich etwas auf. »Du bist mir aber auch keine große Hilfe, Sassenach«, sagte er. »Du kannst doch Latein, oder? Als Ärztin musst du das doch. Vielleicht sollte ich dir seinen Lateinunterricht überlassen, aye?«
Ich schüttelte den Kopf. Zwar konnte ich Latein – mehr schlecht als recht – lesen, doch ich hatte keine Lust, Ian die Überreste meiner Ausbildung einzutrichtern.
»Alles, was ich noch weiß, ist
Ian brach in Gekicher aus, und Jamie warf mir einen zutiefst desillusionierten Blick zu.
Er seufzte und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Jamie und Ian hatten körperlich nichts gemeinsam außer ihrer Größe, doch sie hatten beide dichtes Haar und teilten die Angewohnheit, sich mit der Hand hindurchzufahren, wenn sie aufgeregt waren oder nachdachten. Der Unterricht schien anstrengend gewesen zu sein – sie sahen beide so aus, als hätte man sie rückwärts durch eine Hecke geschleift.
Jamie lächelte mich trocken an und wandte sich dann wieder kopfschüttelnd an Ian.
»Nun gut. Ich blaffe dich nicht gern an, Ian, wirklich nicht. Aber du hast doch Verstand, und ich sähe es nicht gern, wenn du den verschwendetest. Himmel, Mann, in deinem Alter war ich in Paris und hatte schon mein Studium an der
Ian stand da und sah hinunter in das Wasser, das in glatten, braunen Wellen am Schiffsrumpf entlangwirbelte. Seine Hände lagen auf der Reling; große Hände, breit und sonnengebräunt.
»Aye«, sagte er. »Mein Vater war in meinem Alter auch in Frankreich. Im Krieg.«
Ich war ein wenig erschrocken, das zu hören. Ich hatte gewusst, dass der ältere Ian eine Zeitlang in Frankreich gekämpft hatte, aber nicht, dass er so früh Soldat geworden war – und so lange dort geblieben war. Der junge Ian war gerade fünfzehn. Sein Vater hatte also von diesem Alter an als Söldner gedient, bis er zweiundzwanzig war. Dann hatte ihm eine Kartätsche das Bein so schlimm zerschmettert, dass es dicht unter dem Knie amputiert werden musste – und er war für immer heimgekehrt.
Jamie sah seinen Neffen einen Moment lang mit einem leichten Stirnrunzeln an. Dann stellte er sich neben Ian, lehnte sich nach hinten und hielt sich mit den Händen an der Reling fest.
»Das weiß ich, aye?«, sagte Jamie leise. »Schließlich bin ich ihm gefolgt, als ich geächtet wurde.«
Jetzt blickte Ian verblüfft auf.
»Ihr wart zusammen in Frankreich?«
Die Bewegung des Schiffes verursachte einen leichten Fahrtwind, aber es war immer noch heiß. Vielleicht brachte die Temperatur Jamie zu der Überzeugung, dass es besser war, die hehre Bildung für einen Augenblick zu vergessen, denn er nickte und hob seinen dicken Haarzopf an, um sich den Nacken zu kühlen.
»In Flandern. Über ein Jahr, bis Ian verwundet und nach Hause geschickt wurde. Wir haben damals im schottischen Söldnerregiment gekämpft, um Fergus mac Leodhas.«
Ians Augen leuchteten interessiert auf.
»Hat Fergus – unser Fergus – daher seinen Namen?«
Sein Onkel lächelte.
»Aye, ich habe ihn nach mac Leodhas benannt, ein Prachtkerl und ein guter Soldat. Er hat viel von Ian gehalten. Hat dein Vater dir nie von ihm erzählt?«
Ian schüttelte den Kopf. Seine Stirn war leicht umwölkt.
»Er hat mir nie etwas erzählt. Ich – ich habe gewusst, dass er sein Bein im Krieg in Frankreich verloren hat – Mama hat es mir gesagt, als ich sie gefragt habe –, aber er selbst wollte nicht darüber sprechen.«
Da mir Dr. Rawlings’ Beschreibung der Amputation noch lebhaft in Erinnerung war, konnte ich es verstehen, wenn der ältere Ian nicht daran denken wollte.
Jamie zuckte die Schultern und zog sich das schweißnasse Hemd von der Brust weg.
»Aye, na ja. Wahrscheinlich wollte er diese Zeit vergessen, nachdem er heimgekommen war und sich in Lallybroch niedergelassen hatte. Und dann …« Er zögerte, aber Ian gab nicht nach.
»Und dann, Onkel Jamie?«
Jamie warf seinem Neffen einen Blick zu und lächelte schief.
»Hm, ich glaube, er wollte nicht zu viele Kriegsgeschichten erzählen, damit ihr Jungs nicht auf dumme Gedanken kommt und selber Soldaten werden wollt. Er und eure Mutter haben sich wahrscheinlich etwas Besseres für euch gewünscht, aye?«
Ich fand, dass der ältere Ian weise gehandelt hatte, doch der Gesichtsausdruck seines Sohnes verriet, dass er sich nichts Aufregenderes als kämpfen und Krieg vorstellen konnte.