Ich wartete, bis ich hörte, wie sich unten die Tür schloss, und ich sicher war, dass sie unterwegs war. Erst dann griff ich in die Nachttischschublade und zog den großen Schokoriegel hervor, den ich gestern Abend dort versteckt hatte.
Nachdem ich meinen Magen besänftigt hatte, lehnte ich mich in das Kissen zurück und sah zu, wie der Himmel immer grauer wurde. Das Ende eines knospenden Lindenzweigs schlug unregelmäßig gegen das Fenster; der Wind nahm zu. Ich erschauerte trotz der Wärme des Zimmers und der Zentralheizung, die am Fußende vor sich hin dröhnte. Es würde kalt sein auf dem Feld von Culloden.
Vielleicht jedoch nicht so kalt wie im April 1746, als Bonnie Prince Charlie seine Männer auf dieses Feld geführt hatte, wo sie dem eiskalten Hagel und dem Donnern des englischen Kanonenfeuers ausgeliefert waren. Augenzeugenberichte besagten, dass es bitterkalt gewesen war und die verwundeten Highlander zusammen mit den Toten von Blut und Regen getränkt auf großen Haufen gelegen und auf die Gnade der englischen Sieger geharrt hatten. Doch der Herzog von Cumberland, der das Kommando über die englische Armee hatte, kannte keine Gnade.
Man hatte die Toten wie Brennholz gestapelt und verbrannt, um zu verhindern, dass sich Seuchen ausbreiteten, und die Geschichtsschreibung besagte, dass auch viele der Verwundeten dieses Schicksal erlitten hatten, ohne dass man ihnen den Gnadenschuss gab. Jenseits der Launen des Wetters und der Greuel des Krieges lagen sie jetzt alle unter dem Gras des Feldes von Culloden.
Ich hatte das Schlachtfeld schon gesehen, fast dreißig Jahre zuvor, als Frank auf unserer Hochzeitsreise mit mir dorthin gefahren war. Auch Frank war jetzt tot, und ich hatte meine Tochter zurück nach Schottland gebracht. Ich wollte, dass Brianna Culloden sah, doch keine Macht der Erde würde mich dazu bringen, den Fuß noch einmal auf dieses tödliche Moor zu setzen.
Ich blieb wohl besser im Bett, um die Glaubwürdigkeit des plötzlichen Unwohlseins nicht zu verspielen, das mich daran gehindert hatte, Brianna und Roger auf ihrem Ausflug zu begleiten; möglich, dass Mrs. Thomas mich verpetzen würde, wenn ich aufstand und Mittagessen bestellte. Ich blinzelte in die Schublade; noch drei Schokoriegel und ein Krimi. Mit etwas Glück würde das für den Rest des Tages reichen.
Der Krimi war zwar nicht schlecht, doch das Rauschen des zunehmenden Windes im Freien wirkte hypnotisierend, und die Umarmung des warmen Bettes war zu einladend. Ich schlief friedlich ein und träumte von Highlandmännern in Kilts und dem sanften Klang der schottischen Sprache, die am Lagerfeuer summte wie die Bienen in der Heide.
Kapitel 4
Culloden
Was für ein mieses kleines Schweinegesicht!« Brianna beugte sich vor, um einen neugierigen Blick auf die rotberockte, lebensgroße Puppe zu werfen, die drohend auf der einen Seite des Foyers im Besucherzentrum von Culloden stand. Er war vielleicht eins sechzig groß, und seine gepuderte Perücke ragte kampflustig über seine flache Stirn und seine rosa Hängebäckchen hervor.
»Nun ja, er war ein kleiner Fettsack«, pflichtete Roger ihr belustigt bei. »Aber ein verdammt guter General, zumindest verglichen mit seinem eleganten Vetter dort drüben.« Er wies mit der Hand zur anderen Seite des Foyers, wo die hochgewachsenere Figur Charles Edward Stuarts stand. Edelmütig blickte er unter seiner blauen Mütze mit der weißen Kokarde in die Ferne, ohne den Herzog von Cumberland eines Blickes zu würdigen.
»Sie haben ihn
Das stimmte; der Kurator des Museums im Besucherzentrum, der mit Roger befreundet war, hatte ihm erzählt, dass die Figur des Prinzen zwar durchweg mit Respekt behandelt wurde, dass am Rock des Herzogs jedoch ständig die Knöpfe verschwanden und die Figur selbst immer wieder zum Gegenstand übler Scherze wurde.
»Er sagt, einmal ist er morgens besonders früh hier gewesen, und als er das Licht einschaltete, hatte Seine Durchlaucht einen echten Highlanddolch im Bauch stecken«, sagte Roger und wies kopfnickend auf den untersetzten kleinen Mann. »Hat ihm einen ziemlichen Schreck eingejagt.«