»Sieh nur«, sagte Brianna fast im Flüsterton. Sie zeigte auf einen der Steine. Dort lag ein kleines Häufchen grünlich grauer Zweige, vermischt mit ein paar welken Frühlingsblumen.
»Heidekraut«, sagte Roger. »Im Sommer ist es üblicher, wenn die Heide blüht – dann sieht man vor jedem Clanstein ganze Berge davon. Violett und hier und da auch ein weißer Heidezweig – das Weiß symbolisiert Glück und das Königsamt; es war Charlies Emblem, das und die weiße Rose.«
»Wer legt die Blumen denn dorthin?« Brianna hockte sich an den Rand des Weges, um die Zweige sacht mit dem Finger zu berühren.
»Besucher.« Roger hockte sich neben sie. Er zeichnete die verblassten Buchstaben auf dem Stein nach – FRASER. »Nachkommen der Familien, deren Männer hier umgekommen sind. Oder einfach nur Menschen, die ihr Gedenken ehren möchten.«
Sie warf ihm einen Seitenblick zu, das Gesicht von ihrem Haar umweht. »Hast du es auch schon gemacht?«
Er senkte den Kopf und blickte lächelnd auf seine Hände, die zwischen seinen Knien hingen.
»Ja. Es ist zwar eigentlich furchtbar sentimental, aber ich tue es auch.«
Brianna wandte sich dem Gewirr der Moorpflanzen zu, die den Weg auf beiden Seiten säumten.
»Welches ist denn Heidekraut?«
Auf dem Heimweg ließ die Melancholie des Besuchs in Culloden zwar wieder nach, doch der Eindruck des gemeinsamen Erlebnisses blieb, und sie unterhielten sich lachend wie alte Freunde.
»Schade, dass meine Mutter nicht mitkommen konnte«, sagte Brianna, als sie in die Straße einbogen, an der sich die Pension der Randalls befand.
Sosehr Roger Claire Randall mochte, er war nicht der Meinung, dass es schade war. Drei, so dachte er, wären definitiv einer zu viel gewesen. Doch er grunzte unverbindlich, und gleich darauf fragte er: »Wie geht es deiner Mutter wohl? Ich hoffe, sie ist nicht ernsthaft krank.«
»Oh, nein, es ist nur eine Magenverstimmung – zumindest sagt sie das.« Brianna blickte einen Moment stirnrunzelnd vor sich hin, dann wandte sie sich Roger zu und legte ihm die Hand leicht auf das Bein. Er spürte die Muskeln vom Knie bis zur Lende erbeben und konnte sich nur mühsam auf das konzentrieren, was sie sagte. Sie redete immer noch von ihrer Mutter.
»… ob es ihr gutgeht?«, sagte sie gerade. Sie schüttelte den Kopf, und in den Wellen ihres Haars glitzerte Kupfer, selbst im dumpfen Licht des Autos. »Ich weiß es nicht; irgendetwas scheint sie furchtbar zu beschäftigen. Eigentlich nicht krank – eher so, als ob ihr irgendetwas Sorgen macht.«
Roger hatte plötzlich einen Stein in der Magengrube.
»Mpfm«, sagte er. »Vielleicht fehlt ihr ja nur die Arbeit. Sie fängt sich bestimmt wieder.« Brianna lächelte ihm dankbar zu, und sie kamen vor Mrs. Thomas’ kleinem Steinhaus zum Halten.
»Es war toll, Roger«, sagte sie und berührte ihn sacht an der Schulter. »Aber mit Mamas Projekt hat es uns ja nicht besonders weitergebracht. Kann ich dir nicht irgendwie bei der Drecksarbeit helfen?«
Rogers Stimmung hob sich beträchtlich, und er lächelte sie an. »Ich glaube, das lässt sich einrichten. Möchtest du morgen vorbeikommen, und dann wagen wir uns an die Garage? Dreck kann ich dir bieten, schlimmer geht es nämlich kaum.«
»Toll.« Sie war ausgestiegen und stützte sich lächelnd auf das Auto, um zu ihm hineinzusehen. »Vielleicht hat meine Mutter ja Lust, mitzukommen und zu helfen.«
Er konnte spüren, wie sein Gesicht erstarrte, doch er lächelte tapfer weiter.
»Klar«, sagte er. »Das hoffe ich doch.«
Schliesslich kam Brianna tags darauf aber doch allein zum Pfarrhaus.
»Mama ist in der Bücherei«, erklärte sie. »Wühlt in alten Telefonbüchern. Sie sucht nach jemandem von früher.«
Bei diesen Worten setzte Rogers Herz einen Schlag aus. Er hatte gestern Abend das Telefonbuch des Reverends durchgesehen. Im Ort gab es drei Einträge unter dem Namen »James Fraser« und zwei weitere mit anderen Vornamen, die jedoch in der Mitte die Initiale »J« hatten.
»Tja, ich hoffe, sie findet ihn«, sagte er bemüht beiläufig. »Bist du wirklich sicher, dass du mithelfen willst? Es ist langweilig und staubig.« Roger warf Brianna einen skeptischen Blick zu, doch sie nickte unbeirrt.
»Ich weiß. Ich habe meinem Vater ein paar Mal geholfen, alte Dokumente durchzusehen und Fußnoten zu suchen. Außerdem ist es doch Mamas Projekt; es ist das mindeste, was ich tun kann, dir zu helfen.«
»Also schön.« Roger blickte an seinem weißen Hemd hinunter. »Ich ziehe mich kurz um, und dann sehen wir uns die Sache an.«
Das Garagentor ächzte und stöhnte, dann ergab es sich in sein Schicksal und hob sich plötzlich unter knarrenden Stahlfedern und großen Staubwolken.
Brianna wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht hin und her und hustete. »Puh!«, sagte sie. »Wie lange ist denn hier schon niemand mehr gewesen?«