Der Karton, den sie im Studierzimmer des Reverends öffneten, enthielt ein merkwürdiges Sammelsurium: alte Fotokopien von Pfarrbuchseiten, zwei oder drei Musterrollen der Armee, einige Briefe und andere Papiere, ein kleines, dünnes Notizbuch mit einem grauen Pappeinband, ein Päckchen betagter Fotografien, die sich an den Rändern wellten, und einen festen Ordner, auf dessen Deckel der Name »Randall« prangte.
Brianna griff nach dem Ordner und öffnete ihn. »Oh, das ist ja Papas Stammbaum!«, rief sie aus. »Sieh doch.« Sie reichte Roger den Ordner, in dem sich zwei dicke Pergamentbögen befanden, auf denen mit dem Lineal akkurate Abstammungslinien gezogen waren. Das Anfangsdatum war 1633; der letzte Eintrag unten auf der zweiten Seite lautete
»Vor deiner Geburt verfasst«, murmelte Roger.
Brianna blickte ihm über die Schulter, während er langsam mit dem Finger über den Stammbaum fuhr. »Ich kenne ihn schon; Papa hatte eine Kopie in seinem Studierzimmer und hat ihn mir immer wieder gezeigt. Aber bei ihm stand ich unten; diese Kopie muss älter sein.«
»Vielleicht hat ihm der Reverend bei der Recherche geholfen.« Roger reichte Brianna den Ordner zurück und griff nach einem der Papiere auf dem Schreibtisch.
»Da hast du ein richtiges Erbstück«, sagte er, und sein Finger glitt über das Wappen, das am Kopf der Seite eingeprägt war. »Ein Armeepatent, gezeichnet von Seiner Königlichen Majestät König George II.«
»George dem
»Deutlich vorher. Das Datum ist 1735, auf den Namen Jonathan Wolverton Randall. Kennst du den Namen?«
»Ja.« Brianna nickte, und ihr fielen verirrte Haarsträhnen ins Gesicht. Sie strich sie achtlos beiseite und griff nach dem Brief. »Papa hat hin und wieder von ihm erzählt; einer der wenigen Vorfahren, über den er etwas mehr wusste. Er war Hauptmann in der Armee, die in Culloden gegen Bonnie Prince Charlie gekämpft hat.« Sie hob den Kopf und blinzelte Roger an. »Ich glaube sogar, er ist in der Schlacht umgekommen. Vermutlich ist er aber nicht dort begraben, oder?«
Roger schüttelte den Kopf. »Ich glaube es nicht. Es waren ja die Engländer, die nach der Schlacht dort aufgeräumt haben. Sie haben die meisten ihrer eigenen Toten zur Beerdigung nach Hause transportiert – zumindest die Offiziere.«
Zu weiteren Bemerkungen kam er nicht, weil Fiona plötzlich in der Tür auftauchte und einen Staubwedel wie eine Kampfstandarte vor sich hertrug.
»Mr. Wakefield«, rief sie. »Draußen ist jemand, der den Wagen des Reverends mitnehmen will, aber er springt nicht an. Er fragt, ob Sie ihm wohl helfen würden?«
Roger fuhr schuldbewusst zusammen. Er hatte die Batterie in die Werkstatt gebracht, um sie überprüfen zu lassen, und sie lag immer noch auf dem Rücksitz seines Morris. Kein Wunder, dass der Wagen des Reverends nicht ansprang.
»Ich muss mich darum kümmern«, sagte er zu Brianna. »Ich fürchte, es kann eine Weile dauern.«
»Das macht nichts.« Sie lächelte ihn an, und ihre blauen Augen zogen sich zu Dreiecken zusammen. »Ich gehe auch besser. Mama ist bestimmt zurück; wir wollten zu den Clava Cairns fahren, wenn wir noch Zeit haben. Danke für das Essen.«
»Gern geschehen, bedank dich bei Fiona.« Roger empfand einen Stich des Bedauerns, weil er ihr nicht anbieten konnte, sie zu begleiten, doch die Pflicht rief. Er warf einen Blick auf die Papiere, die auf dem Schreibtisch lagen, dann schob er sie zusammen und legte sie in den Karton.
»Da«, sagte er. »Das ist deine Familiengeschichte. Nimm sie mit. Vielleicht interessiert sich deine Mutter dafür.«
»Wirklich? Oh, danke, Roger. Bist du sicher?«
»Auf jeden Fall«, sagte er und legte den Ordner mit dem Stammbaum vorsichtig auf den Stapel. »Oh, warte. Vielleicht doch nicht alles.« Unter dem Offizierspatent lugte eine Ecke des grauen Notizbuchs hervor; er zog es heraus und legte die verrutschten Papiere wieder ordentlich in den Karton. »Das sieht aus wie eins der Tagebücher des Reverends. Keine Ahnung, was es hier zu suchen hat, aber ich lege es besser zu den anderen; der Heimatverein sagt, er möchte sie alle haben.«
»Oh, klar.« Brianna hatte sich zum Gehen erhoben, den Karton an ihre Brust geklammert, doch sie zögerte und sah ihn an. »Möchtest du – soll ich wiederkommen?«
Roger lächelte sie an. Sie hatte Spinnweben im Haar und einen langen Schmutzstreifen auf der Nase.
»Nichts, was mir lieber wäre«, sagte er. »Dann bis morgen, ja?«
Der Gedanke an das Tagebuch des Reverends ging Roger nicht aus dem Kopf, nicht während der mühseligen Aufgabe, den alten Laster zum Laufen zu bringen, nicht während des folgenden Besuchs eines Gutachters, der die wertvollen Antiquitäten vom Sperrmüll trennen und die Möbel des Reverends für die Versteigerung schätzen sollte.