»Also schön, ich versuch’s«, sagte er widerstrebend, ohne sie anzusehen. »Und wo wirst du dich aufhalten, während ich das tue?«
Er hörte, wie sich ihre Hand neben ihm leise bewegte, als sie erneut in ihre Tasche griff. Dann zog sie die Hand heraus und öffnete sie. Sein Blick erhaschte den silbernen Glanz eines kleinen Gegenstands in ihrer Handfläche. Ein Schlüssel.
»Ich werde im Institut einbrechen«, sagte sie in aller Ruhe. »Ich will dieses Notizbuch haben.«
Nachdem sich Claire entschuldigt hatte, weil sie »noch etwas zu erledigen hatte« – Worte, bei denen Roger sacht erschauerte –, waren er und Brianna zum Pub gefahren, hatten dann aber beschlossen, mit dem Essen noch zu warten, weil der Abend unerwartet schön war. Sie spazierten über den Weg am Ness entlang, und die Freude, mit Brianna zusammen zu sein, ließ ihn seine Skepsis in Bezug auf diesen Abend vergessen.
Zuerst unterhielten sie sich sehr vorsichtig und vermieden jedes kontroverse Thema. Dann wandte sich ihre Plauderei Rogers Arbeit zu und wurde allmählich lebhafter.
»Wie kommt es überhaupt, dass du so viel darüber weißt?«, wollte Roger wissen und unterbrach sich mitten im Satz.
»Mein Vater hat es mir beigebracht«, erwiderte sie. Bei dem Wort »Vater« erstarrte sie kaum merklich und wich zurück, als erwartete sie, dass er etwas sagte. »Mein
»Nun, er kannte sich natürlich bestens aus«, erwiderte Roger gelassen, ohne auf die Herausforderung einzugehen. Dazu haben wir später noch reichlich Zeit, Kleine, dachte er zynisch. Aber ich werde es nicht sein, der die Falle zuschnappen lässt.
Ein Stückchen weiter die Straße hinunter konnte Roger Licht im Fenster der Edgars’ sehen. Zielperson anvisiert. Er spürte einen unerwarteten Adrenalinstoß bei dem Gedanken an die bevorstehende Konfrontation.
Doch das Adrenalin war schwächer als der Ansturm der Magensäfte, der ihn überkam, als er die würzige Atmosphäre des Pubs betrat. Ihre Gespräche blieben allgemein und freundlich, und sie stimmten stillschweigend überein, die Szene, die sich tags zuvor im Pfarrhaus ereignet hatte, nicht anzusprechen. Roger war die Kühle nicht entgangen, die zwischen Claire und ihrer Tochter herrschte, ehe sie sich am Taxistand trennten. Sie hatten nebeneinander auf der Rückbank gesessen und ihn an zwei Katzen erinnert, die einander nicht kannten und zwar die Ohren angelegt hatten und mit den Schwänzen zuckten, aber beide den direkten Blick vermieden, der dazu geführt hätte, dass sie mit gewetzten Krallen aufeinander losgingen.
Nach dem Essen holte Brianna ihre Jacken, während er die Rechnung bezahlte.
»Wozu brauchst du die denn?«, fragte sie, als ihr Blick auf die Whiskyflasche in seiner Hand fiel. »Hast du nachher noch etwas vor?«
»Dir entgeht aber auch wirklich nichts, oder?«, sagte er und lachte.
»Für mich kann er ja nicht sein«, sagte sie mit einem hämischen Grinsen. »Schon, weil er so furchtbar schmeckt.«
»Die Vorliebe dafür ist angeboren«, teilte Roger ihr mit, und sein Akzent wurde breiter. »Aber nur bei den Schotten. Ich kaufe dir deine eigene Flasche zum Üben. Aber die hier ist ein Geschenk – ich habe versprochen, es abzuliefern. Willst du mitkommen, oder soll ich es später machen?«, fragte er. Er wusste nicht, ob er sich wünschte, dass sie mitkam, oder nicht, doch er war glücklich, als sie nickte und in ihre Jacke fuhr.
»Klar, warum nicht?«
»Gut.« Er streckte die Hand aus und klappte vorsichtig ihren Kragen um, so dass er ihr flach auf der Schulter lag. »Es ist nicht weit – gehen wir zu Fuß, ja?«
Abends sah die Gegend schon einladender aus. Die Dunkelheit verbarg ein wenig von ihrer Schäbigkeit, und das Licht, das aus den Fenstern in die kleinen Vorgärten fiel, verlieh der Straße etwas Anheimelndes, das ihr tagsüber fehlte.
»Es dauert auch nicht lange«, sagte Roger zu Brianna, als er auf die Klingel drückte. Er wusste gar nicht, ob er hoffen sollte, dass er recht hatte, oder nicht. Seine erste Angst verging, als sich die Tür öffnete; es war jemand zu Hause, und er war noch bei Bewusstsein.
Edgars hatte den Nachmittag eindeutig in der Gesellschaft einer der Flaschen verbracht, die hinter ihm auf der Kante der altmodischen Anrichte aufgereiht standen. Glücklicherweise schien er seine abendlichen Besucher nicht mit den Eindringlingen des Nachmittags in Verbindung zu bringen. Er blinzelte, als sich Roger mit den Worten vorstellte, die er sich auf dem Weg zum Haus zurechtgelegt hatte.
»Gillys Vetter? Ich wusste gar nicht, dass sie einen Vetter hat.«
»Nun, so ist es aber«, sagte Roger, um die Behauptung dann auf die Spitze zu treiben. »Nämlich mich.« Mit Gillian würde er sich befassen, wenn er sie sah. Falls er sie sah.
Edgars blinzelte ein paar Mal, dann rieb er sich die geröteten Augen, als wollte er sich seine Gäste genauer betrachten. Unter Schwierigkeiten richtete er den Blick auf Brianna, die sich schüchtern zurückhielt.
»Wer ist das?«, wollte er wissen.