Sie blieb stocksteif stehen, und der Ruck zerrte an seinem Arm. In aller Ruhe löste sie ihren Ellbogen aus seinem Griff. Das zarte Gewebe des Abends war in der Mitte durchgerissen.
»Fass … mich … nicht … an«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Ist das etwas, das Mutter sich ausgedacht hat?«
Obwohl er fest entschlossen war, sich verständnisvoll zu zeigen, spürte Roger, wie er jetzt ebenfalls wütend wurde.
»Hör zu«, sagte er, »kannst du nicht einmal an jemand anderen als an dich selbst denken? Ich weiß, dass das Ganze ein Schock für dich gewesen ist – Gott, natürlich war es das. Und wenn du dich nicht überwinden kannst, es wenigstens zu erwägen … nun, ich werde dich nicht drängen. Aber es geht hier auch um deine Mutter. Und um mich.«
»Um dich? Was hast
Eigentlich hatte er die Dinge nicht noch komplizierter machen wollen, indem er ihr von seiner Rolle erzählte, doch es war eindeutig zu spät, sie ihr zu verheimlichen. Das hatte Claire zweifellos vorhergesehen, als sie vorschlug, dass er Brianna heute Abend mitnahm
Ein Geistesblitz ließ ihn begreifen, was genau Claire gemeint hatte. Es gab eine Möglichkeit, Brianna über jeden Zweifel erhaben zu beweisen, dass ihre Geschichte stimmte. Sie hatte Gillian Edgars, die – vielleicht – noch nicht verschwunden war, um ihr Schicksal als Geillis Duncan zu vollenden, unter den Ebereschen von Leoch an einen brennenden Pfahl gefesselt. Es würde wohl auch den hartnäckigsten Zyniker überzeugen, dachte er, wenn jemand vor seinen Augen in die Vergangenheit verschwand. Kein Wunder, dass Claire Gillian Edgars finden wollte.
Mit wenigen Worten beschrieb er Brianna, was ihn mit der Möchtegern-Hexe von Cranesmuir verband.
»Anscheinend steht also ihr Leben gegen das meine«, schloss er achselzuckend, und ihm war furchtbar bewusst, wie melodramatisch das klang. »Claire – deine Mutter –, sie hat es mir überlassen. Aber ich fand, dass ich sie zumindest suchen muss.«
Brianna war wieder stehen geblieben, um ihm zuzuhören. Das schwache Licht eines kleinen Ladens fing sich im Glanz ihrer Augen, als sie ihn ansah.
»Dann glaubst du es?«, fragte sie. Es lagen weder Unglaube noch Verachtung in ihrer Stimme; sie war durch und durch ernst.
Er seufzte und griff erneut nach ihrem Arm. Sie wehrte sich nicht, sondern setzte sich neben ihm in Bewegung.
»Ja«, sagte er. »Ich konnte nicht anders. Du hast ja ihr Gesicht nicht gesehen, als sie die Gravur in ihrem Ring gelesen hat. Das war echt – so echt, dass es mir das Herz gebrochen hat.«
»Dann erzähl es mir besser«, sagte sie nach kurzem Schweigen. »Was denn für eine Gravur?«
Als er zu Ende erzählt hatte, hatten sie den Parkplatz hinter dem Pub erreicht.
»Nun ja …«, sagte Brianna zögernd. »Wenn …« Sie verstummte wieder und sah ihm in die Augen. Sie stand so dicht vor ihm, dass er die Wärme ihrer Brüste dicht vor seiner Brust spürte, doch er streckte nicht die Hand nach ihr aus. Die Kirche von St. Kilda war weit fort, und keiner von ihnen wollte an das Grab unter den Eiben denken, wo die Namen ihrer Eltern in Stein gemeißelt standen.
»Ich weiß es nicht, Roger«, sagte sie und schüttelte den Kopf. Die Neonreklame über der Hintertür der Kneipe schlug dunkelrote Funken in ihrem Haar. »Ich kann einfach nicht … ich kann noch nicht darüber nachdenken. Aber …« Ihr versagte die Stimme, doch sie hob die Hand und berührte seine Wange, sacht wie der leise Abendwind. »Ich werde an dich denken«, flüsterte sie.
Wenn man es recht bedenkt, ist ein Einbruch, den man mit einem Schlüssel begeht, eigentlich kein schwieriges Unterfangen. Die Chancen, dass entweder Mrs. Andrews oder Dr. McEwan zurückkommen und mich auf frischer Tat ertappen würden, standen verschwindend gering. Selbst wenn, würde ich einfach nur sagen müssen, dass ich zurückgekommen war, um nach meiner Handtasche zu suchen, die ich verloren hatte, und die Tür offen vorgefunden hatte. Ich war zwar aus der Übung, aber es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der Lug und Trug meine zweite Natur gewesen waren. Lügen war wie Fahrradfahren, dachte ich; man verlernt es nicht.
Es war also nicht der Vorgang, Gillian Edgars’ Notizbuch in die Finger zu bekommen, der mein Herz rasen und meinen Atem in meinen Ohren dröhnen ließ. Es war das Buch selbst.
Wie Maître Raymond mir in Paris gesagt hatte, liegen die Macht und die Gefahr der Magie bei den Menschen, die daran glauben. Dem kurzen Blick nach, den ich vorhin auf den Inhalt geworfen hatte, war die tatsächliche Information in diesem Notizbuch ein außergewöhnlicher Mischmasch aus Fakt, Spekulation und unverblümter Fiktion, der nur für die Verfasserin selbst von Bedeutung sein konnte. Doch ich empfand einen beinahe körperlichen Ekel davor, das Buch zu berühren. Da ich wusste, wer es geschrieben hatte, wusste ich auch, was es wahrscheinlich war: ein