Meine Hände krümmten sich in meinen Manteltaschen zu Fäusten und griffen achtlos nach Münzen und kleinen Gegenständen; einem zerfetzten Papiertaschentuch, einem Bleistiftstummel, einem Gummibällchen, das ein kleiner Patient auf dem Boden meines Büros verloren hatte. Mein Daumen umkreiste und identifizierte die gefräste Kante eines amerikanischen Vierteldollars, die große Oberfläche eines englischen Pennys und die gezackte Kontur eines Schlüssels – des Schlüssels zu Gillian Edgars’ Arbeitskabine, den ich nicht im Institut zurückgelassen hatte.
Ich hatte noch einmal versucht, Greg Edgars anzurufen, ehe wir das alte Pfarrhaus verließen. Das Telefon hatte wieder und wieder geklingelt, ohne dass jemand antwortete.
Ich richtete den Blick auf das dunkle Glas des Fensters neben mir, sah aber weder mein eigenes, verschwommenes Spiegelbild noch die massigen Umrisse der Steinmauern und verstreuten Bäume, die in der Nacht vorüberrauschten. Stattdessen sah ich die Bücher, die auf dem Bücherbord in der Kabine aufgereiht standen, ordentlich wie Apothekergläser. Und darunter das Notizbuch, das in feiner, kursiver Handschrift vollgeschrieben war und von Ordnungssinn und Irrsinn zeugte, Mythos und Wissenschaft vermischte, sich bei Gelehrten genau wie bei Legenden bediente und ganz auf die Macht der Träume baute. Für jeden zufälligen Beobachter war es entweder halbgarer Unsinn oder bestenfalls der Entwurf für einen intelligent gemachten, aber albernen Roman. Nur für mich hatte es das Aussehen eines sorgfältig durchdachten Plans.
In einer Parodie auf das wissenschaftliche Arbeiten war der erste Teil des Buches »Beobachtungen« betitelt. Er enthielt zusammenhanglose Referenzen, saubere Zeichnungen und sorgfältig durchnumerierte Tabellen. »Die Position von Sonne und Mond am Beltanefest«, war eine davon überschrieben, und darunter standen mehr als zweihundert Zahlenpaare aufgelistet. Ähnliche Tabellen existierten für den Jahreswechsel und den Mittsommertag, eine weitere für Samhain, das Allerheiligenfest – die überlieferten Feuer- und Sonnenfeste. Und morgen würde die Sonne des Beltane aufgehen.
Der zentrale Teil des Notizbuchs trug den Titel »Spekulationen«. Das zumindest war zutreffend, dachte ich ironisch. Eine Seite trug ordentlich lesbar den folgenden Eintrag: »Die Druiden haben Menschenopfer in Weidenkäfigen verbrannt, die wie Menschen geformt waren, doch manche Individuen wurden auch durch Erwürgen umgebracht, und dann schnitt man ihnen die Kehle durch, um sie ausbluten zu lassen. War Feuer oder Blut das notwendige Element?« Die kaltblütige Neugier dieser Frage beschwor Geillis Duncans Gesicht vor meinem inneren Auge herauf – nicht die Studentin mit den großen Augen und dem glatten Haar, deren Foto ich im Institut gesehen hatte, sondern die geheimnisvoll lächelnde Frau des Fiskalprokurators, zehn Jahre älter, versiert im Gebrauch von Drogen und ihres Körpers, die die Männer verführte und leidenschaftslos tötete, um ihre Ziele zu erreichen.
Und dann die letzten paar Seiten des Buchs, sorgfältig mit »Schlussfolgerungen« überschrieben, die uns am Vorabend des Beltane auf diesen finsteren Weg geschickt hatten. Ich legte die Finger um den Schlüssel und wünschte mir von ganzem Herzen, Greg Edgars wäre ans Telefon gegangen.
Roger verlangsamte das Tempo und bog in den rumpeligen Feldweg ein, der am Fuß des Hügels Craigh na Dun entlangführte.
»Ich sehe nichts«, sagte er. Er schwieg schon so lange, dass seine Stimme rauh war und aggressiv klang.
»Natürlich nicht«, sagte Brianna ungeduldig. »Man kann den Steinkreis von hier aus ja auch nicht sehen.«
Roger grunzte statt einer Erwiderung und fuhr noch langsamer. Brianna war offensichtlich furchtbar nervös, doch er war es genauso. Nur Claire schien ruhig zu sein und sich von der zunehmenden Anspannung im Inneren des Autos nicht beeindrucken zu lassen.
»Sie ist hier«, sagte Claire plötzlich. Roger trat so abrupt auf die Bremse, dass Claire und ihre Tochter nach vorn geworfen wurden und gegen die Rückenlehnen vor ihnen stießen.
»Vorsicht, du Idiot!«, fuhr Brianna Roger aufgebracht an. Sie fuhr sich mit der Hand durch das Haar und schob es sich mit einer hastigen Geste aus dem Gesicht. Er konnte sehen, wie sie schluckte, als sie sich zur Seite beugte, um einen Blick durch das dunkle Fenster zu werfen.
»Wo?«, sagte sie.
Claire nickte vor ihnen nach rechts, ohne die Hände aus den Manteltaschen zu ziehen.
»Da hinter dem Dickicht parkt ein Auto.«
Roger leckte sich die Lippen und streckte die Hand nach dem Türgriff aus.
»Es ist Edgars’ Auto. Ich gehe nachsehen; ihr bleibt hier.«
Brianna warf ihre Tür auf, und die ungeschmierten Metallscharniere quietschten. Ihr wortloser Blick war so voller Verachtung, dass Roger im gedämpften Licht der Innenbeleuchtung errötete.
Sie war schon zurück, ehe er selbst ganz ausgestiegen war.
»Niemand da«, berichtete sie. Sie blickte zur Kuppe des Hügels hinauf. »Meint ihr …«