»Oh, aye. Die verdammten Nationalen. Da hab ich Gilly kennengelernt, aye?«
»Wann war das, Mr. Edgars?«
Beim Klang der leisen Stimme von oben blickte Roger überrascht auf. Doch es war nicht das Foto, das gesprochen hatte, sondern Brianna, die den Blick gebannt auf Greg Edgars gerichtet hielt. Roger konnte nicht sagen, ob sie sich nur an der Unterhaltung beteiligen wollte oder ob sie einen Verdacht hatte. Ihrem Gesicht war nichts als höfliches Interesse anzusehen.
»Weiß nicht … ist vielleicht zwei, drei Jahre her. Anfangs war es nur Spaß, hm? Lasst uns die verdammten Engländer aus dem Land werfen und selbst in die EG eintreten … Bier im Pub und auf dem Rücksitz geknutscht, wenn wir von einer Demo kamen. Mmm.« Wieder schüttelte Edgars den Kopf, während er mit verträumter Miene in seinen Erinnerungen schwelgte. Dann verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht, und er blickte stirnrunzelnd in sein Glas. »Da war sie aber noch nicht durchgeknallt.«
»Durchgeknallt?« Roger richtete den Blick noch einmal hastig auf das Foto. Ernst und durchdringend, ja, so sah sie ihm entgegen. Aber doch nicht von allen guten Geistern verlassen, oder? Konnte man das anhand eines Fotos überhaupt beurteilen?
»Aye. Gesellschaft der Weißen Rose. Geliebter Charlie, ach kämst du doch zurück. Ein Haufen Kerle, die sich mit Kilts und der kompletten Aufmachung verkleiden, sogar mit Schwertern. Ist natürlich nett, wenn man eine Vorliebe dafür hat«, fügte er mit glasigen Augen, um Objektivität bemüht, hinzu. »Aber Gilly musste es immer übertreiben. Ständig ging es um den Bonnie Prince, und wäre es nicht toll, wenn er den ’45er gewonnen hätte? Zu jeder Tages- und Nachtzeit hatte ich die Kerle in der Küche sitzen, die mir das Bier weggetrunken und darüber diskutiert haben, warum er nicht gewonnen hat. Auch noch auf Gälisch.« Er verdrehte die Augen. »Was für ein Schwachsinn.« Er leerte sein Glas, um seine Meinung zu unterstreichen.
Roger konnte spüren, wie sich Briannas Augen in seinen Hals bohrten. Er zog an seinem Kragen, um ihn zu lockern, obwohl er keine Krawatte trug und sein Kragenknopf offen stand.
»Ihre Frau interessiert sich nicht zufällig auch für Steinkreise, oder, Mr. Edgars?« Brianna gab sich keine Mühe mehr, höfliches Interesse vorzutäuschen; ihre Stimme war so scharf, dass man Käse damit hätte schneiden können. Edgars bekam so gut wie nichts davon mit.
»Stein was?« Er schien verwirrt, steckte sich den Zeigefinger ins Ohr und drehte ihn angestrengt, als hoffte er, sein Gehör zu verbessern.
»Die prähistorischen Steinkreise. Wie die Clava Cairns«, half Roger aus, indem er eine der berühmteren Stätten in der Nähe benannte. Mitgegangen, mitgefangen, dachte er, und im Geiste seufzte er resigniert. Brianna würde eindeutig nie wieder mit ihm sprechen, also konnte er auch versuchen, so viel wie möglich herauszufinden.
»Ach so.« Edgars lachte auf. »Aye, und jeden anderen alten Müll, den man aufzählen kann. Das ist das Letzte und das Schlimmste. Tag und Nacht in diesem Institut, wo sie mein ganzes Geld für Kurse ausgibt … Kurse! Da lachen ja die Hühner, aye? Märchenkunde gibt es da. Du wirst da doch nichts Nützliches lernen, Kleine, habe ich zu ihr gesagt. Warum lernst du nicht Maschineschreiben? Such dir Arbeit, wenn du Langeweile hast. Das habe ich ihr gesagt. Also ist sie gegangen«, sagte er trübsinnig. »Habe sie seit zwei Wochen nicht mehr gesehen.« Er starrte in sein Weinglas, als wäre er überrascht, es leer zu sehen.
»Noch einen?«, bot er an und griff nach der Flasche, doch Brianna schüttelte entschlossen den Kopf.
»Nein danke. Wir müssen los.
Roger, der das gefährliche Glitzern in ihren Augen sah, war sich gar nicht so sicher, dass er nicht besser dran war, wenn er hierblieb und sich den Rest der Flasche mit Greg Edgars teilte. Aber es war ein langer Fußmarsch bis nach Hause, wenn er Brianna das Auto überließ. Er erhob sich mit einem Seufzer und schüttelte Edgars zum Abschied die Hand. Sie war warm, wenn auch etwas feucht, und fasste überraschend fest zu.
Edgars folgte ihnen zur Tür und hielt die Flasche am Hals umklammert. Er blickte ihnen durch das Türgitter hinterher, und plötzlich rief er: »Wenn ihr Gilly seht, sagt ihr, sie soll nach Hause kommen, aye?«
Roger drehte sich um und winkte der verschwommenen Gestalt im erleuchteten Rechteck der Tür zu.
»Ich versuch’s«, rief er und verschluckte sich fast an den Worten.
Sie waren auf dem Bürgersteig und auf halbem Weg zum Pub, als sie sich vor ihm aufbaute.
»Was zum Teufel hast du eigentlich vor?«, sagte sie. Sie klang wütend, aber nicht hysterisch. »Du hast mir doch erzählt, du hättest keine Verwandten in den Highlands, was soll also das Ganze mit deiner Cousine? Wer ist die Frau auf diesem Foto?«
Er sah sich auf der dunklen Straße nach einer Eingebung um, doch es war nicht zu ändern. Er holte tief Luft und nahm sie beim Arm.
»Geillis Duncan«, sagte er.