Da war es; durch den Regen hörte er das leise Ächzen, mit dem jemand das Tor aufschob, das Rumpeln, als es beiseiteglitt und einen kalten Regenhauch einließ, der sich mit den wärmeren Gerüchen nach Heu und Dung vermischte.
Er saß lautlos da und regte sich nicht.
Er konnte sehen, wie eine hochgewachsene Gestalt vor dem helleren Schwarz der regengetränkten Nacht innehielt und darauf wartete, dass sich ihre Augen an die Dunkelheit im Inneren gewöhnten, bevor sie sich mit dem ganzen Gewicht gegen das schwere Tor stemmte und es so weit öffnete, dass sie sich hineinwinden konnte.
Der Mann hatte eine abgedunkelte Laterne dabei, weil er sich nicht darauf verlassen hatte, im Dunklen das nötige Zaumzeug zu finden und einem Pferd anlegen zu können. Er schob die Verdunklung beiseite und ließ den Lichtstrahl der Laterne suchend über die Boxen gleiten, eine nach der anderen. Die drei Pferde, die Jocasta mitgebracht hatte, waren hier, aber sie waren erledigt. Jamie hörte, wie der Mann beim Nachdenken leise mit der Zunge schnalzte, während er das Licht zwischen der Stute Jerusha und Gideon hin- und herschwenkte.
Ulysses kam zu einem Entschluss und stellte die Laterne auf den Fußboden, um den Bolzen herauszuziehen, der Gideons Boxentür verschloss.
»Es geschähe dir recht, wenn ich zuließe, dass du ihn nimmst«, sagte Jamie im Konversationston.
Der Butler stieß einen scharfen Ausruf aus und fuhr mit geballten Fäusten funkelnd herum. Er konnte Jamie im Dunklen nicht sehen, doch eine Sekunde später begriff er, was er gehört hatte. Er erkannte, wem die Stimme gehörte, und ließ mit einem tiefen Atemzug die Fäuste sinken.
»Mr. Fraser«, sagte er. Seine Augen waren lebendig im Laternenschein und wachsam. »Ihr habt mich überrascht.«
»Nun, das war auch meine Absicht«, erwiderte Jamie gutmütig. »Ich nehme an, du willst los?«
Er konnte die Gedanken flink wie die Libellen durch die Augen des Butlers huschen sehen, fragend, berechnend. Doch Ulysses war kein Dummkopf, und er kam zum richtigen Schluss.
»Dann hat das Mädchen Euch alles erzählt«, sagte er ruhig. »Werdet Ihr mich töten – um der Ehre Eurer Tante willen?« Hätte auch nur der geringste Hauch von Hohn in dieser Frage gelegen, hätte ihn Jamie möglicherweise wirklich umgebracht – noch während er wartete, war er sich nicht schlüssig gewesen, was dies anging. Doch Ulysses sagte es ganz schlicht, und Jamies Finger entspannten sich am Abzug.
»Wäre ich jünger, würde ich es tun«, sagte er im selben Ton wie Ulysses.
»So aber«, fuhr er fort und ließ die Pistole sinken, »versuche ich, in diesen Tagen niemanden zu töten, wenn es nicht sein muss.«
Der Butler schüttelte schwach den Kopf. Das Licht glänzte auf seiner Haut, dunkel mit einem rötlichen Unterton, der ihn aussehen ließ, als sei er aus gealtertem Zinnober geschnitzt.
»Ich habe sie geliebt«, sagte er leise und breitete die Hände aus. »Tötet mich nur.« Er trug Reisekleidung, Umhang und Hut, Beutel und Wasserflasche am Gürtel, aber kein Messer. Sklaven, selbst solche, die das Vertrauen ihrer Herren besaßen, wagten es nicht, Waffen zu tragen.
Seine Neugier kämpfte mit seinem Ekel, und wie bei solchen Kämpfen üblich, siegte die Neugier.
»Phaedre sagt, du hast sogar schon mit meiner Tante geschlafen, bevor ihr Mann gestorben ist. Ist das wahr?«
»Ja«, sagte Ulysses mit unergründlicher Miene. »Ich rechtfertige mich nicht dafür. Das kann ich auch gar nicht. Aber ich habe sie geliebt, und wenn ich dafür sterben muss …«
Jamie glaubte dem Mann; seine Aufrichtigkeit war seiner Stimme und seinen Gesten anzumerken. Und da er seine Tante so gut kannte, neigte er weniger dazu, Ulysses Vorwürfe zu machen, als es der Rest der Welt tun würde. Gleichzeitig jedoch blieb er auf der Hut; Ulysses war kräftig und schnell. Und ein Mann, der glaubte, nichts zu verlieren zu haben, war ausgesprochen gefährlich.
»Wohin wolltest du denn?«, fragte er und wies kopfnickend auf die Pferde.
»Virginia«, erwiderte der Schwarze, nach kaum merklichem Zögern. »Lord Dunsmore hat jedem Sklaven, der sich seiner Armee anschließt, die Freiheit versprochen.«
Er hatte die Frage eigentlich gar nicht stellen wollen, obwohl er sie im Kopf hatte, seit er Phaedres Geschichte gehört hatte. Doch nach dieser Einleitung konnte er nicht widerstehen.
»Warum hat sie dich nicht freigelassen?«, fragte er. »Nach Hector Camerons Tod?«