Ich hätte es kommen sehen sollen, doch das hatte ich nicht. Ich war so sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen, erst mit meinem Elend und dann mit der körperlichen Trägheit der nahenden Mutterschaft, dass ich jeden Gedanken von mir schob, der nicht mit meinem Kugelbauch zu tun hatte. Nach Briannas Geburt hatte ich von einer Stillmahlzeit zur nächsten gelebt und kleine Momente seligen Friedens gefunden, wenn ich ihren schlafenden Körper wiegte und in der schieren sinnlichen Freude, sie zu berühren und zu halten, Erleichterung von meinen Gedanken und Erinnerungen fand.
Auch Frank schmuste mit dem Baby und spielte mit ihr, und oft schlief er mit ihr auf dem Bauch in seinem Sessel ein, ihre rosige Wange fest an seine Brust gedrückt, während sie kameradschaftlich in Frieden vor sich hin schnarchten. Doch er und ich, wir berührten einander nicht, und wir unterhielten uns auch eigentlich über nichts, was über grundlegende Alltagsfragen hinausging – außer über Brianna.
Das Baby war unser gemeinsamer Fixpunkt, mit dessen Hilfe wir einander gleichzeitig erreichen und auf Abstand halten konnten. Es sah so aus, als würde ihm der Abstand nun zu groß.
Ich konnte es tun – zumindest körperlich. Ich war in der Woche zuvor zur Nachuntersuchung beim Arzt gewesen, und er hatte mir – mit einem gönnerhaften Augenzwinkern und einem Klaps auf den Hintern – versichert, dass ich die »ehelichen Beziehungen« mit meinem Mann jederzeit wieder aufnehmen könnte.
Ich wusste, dass Frank nach meinem Verschwinden nicht enthaltsam gelebt hatte. Auch mit Mitte vierzig war er noch schlank und muskulös, dunkelhaarig und attraktiv, ein sehr gutaussehender Mann. Frauen umschwärmten ihn auf Cocktailpartys wie Bienen einen Honigtopf, und tatsächlich summten sie geradezu vor sexueller Erregung.
Eine junge Brünette war mir bei der Feier der Fakultät besonders aufgefallen; sie stand in der Ecke und hielt den Blick traurig über ihr Glas hinweg auf Frank gerichtet. Irgendwann war sie so betrunken, dass sie weinte und lallte und von zwei Freundinnen nach Hause begleitet wurde. Die beiden warfen böse Blicke auf Frank und mich, die ich an seiner Seite stand und in meinem geblümten Umstandskleid schweigend runder und runder wurde.
Allerdings war er diskret gewesen. Er kam jeden Abend nach Hause, und er achtete penibel darauf, dass er keinen Lippenstift am Kragen hatte. Jetzt hatte er also vor, ganz heimzukehren. Vermutlich hatte er das Recht, das zu erwarten; war es nicht die Pflicht einer Ehefrau, und war ich nun nicht wieder seine Frau?
Es gab da nur ein kleines Problem. Es war nicht Frank, nach dem ich die Arme ausstreckte, wenn ich tief in der Nacht aus dem Schlaf erwachte. Es war nicht sein eleganter, geschmeidiger Körper, der durch meine Träume wandelte und mich erregte, so dass ich feucht und keuchend erwachte, herzklopfend von der halb geträumten, halb erinnerten Berührung. Doch ich würde diesen Mann nie mehr berühren.
»Jamie«, flüsterte ich, »oh, Jamie.« Meine Tränen glitzerten im Morgenlicht und verzierten Briannas weichen roten Haarflaum wie verstreute Perlen und Diamanten.
Es war kein guter Tag. Brianna hatte heftigen Windelausschlag, so dass sie gereizt und nörgelig war und alle paar Minuten auf den Arm genommen werden musste. Sie trank und quengelte abwechselnd und spuckte in den Pausen Milch, die nasse Flecken auf allem hinterließ, was ich trug. Bis elf Uhr hatte ich dreimal meine Bluse gewechselt.
Der klobige Still-BH scheuerte unter den Achseln, und meine Brustwarzen fühlten sich kalt und rissig an. Mit Mühe hatte ich das Haus zur Hälfte aufgeräumt, als unter dem Fußboden ein zischendes Scheppern ertönte und die Heizung mit einem schwachen Seufzer den Geist aufgab.
»Nein, nächste Woche reicht nicht«, sagte ich dem Heizungsmonteur am Telefon. Ich blickte zum Fenster, wo der kalte Februarnebel unter den Rahmen zu kriechen und uns einzuhüllen drohte. »Ich habe fünf Grad in der Wohnung und ein drei Monate altes Baby!« Besagtes Baby saß in sämtliche Decken gewickelt in seinem Kindersitz und brüllte wie eine verbrühte Katze. Ohne das Gerede der Person am anderen Ende zu beachten, hielt ich Brianna ein paar Sekunden den Hörer an den weit geöffneten Mund.
»Verstehen Sie?«, wollte ich wissen und hob mir den Hörer wieder selbst ans Ohr.
»Also schön, Teuerste«, sagte eine resignierte Stimme am anderen Ende der Leitung. »Ich komme heute Nachmittag, irgendwann zwischen zwölf und sechs.«
»Zwölf und sechs? Können Sie das nicht etwas genauer sagen? Ich muss noch einkaufen gehen«, protestierte ich.
»Sie haben nicht die einzige kaputte Heizung in der Stadt, Teuerste«, sagte die Stimme endgültig und legte auf. Ich warf einen Blick auf die Uhr; halb zwölf. Nie im Leben würde ich es schaffen, in einer halben Stunde einzukaufen und wieder zurück zu sein. Mit einem kleinen Baby einkaufen zu gehen, ähnelte eher einer anderthalbstündigen Expedition ins finsterste Borneo, die massenweise Ausrüstung und große Mengen Energie erforderte.
Алекс Каменев , Владимир Юрьевич Василенко , Глуховский Дмитрий Алексеевич , Дмитрий Алексеевич Глуховский , Лиза Заикина
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