»Du wirst
Die Frage erschien mir so grotesk, dass ich eine Minute überlegen musste.
»Ich bin siebenundzwanzig … oder vielleicht auch achtundzwanzig«, fügte ich hinzu. Das verschlug ihm die Sprache. Mit achtundzwanzig befand sich eine Frau in dieser Zeit schon in den mittleren Jahren.
»Oh«, sagte er und holte tief Luft. »Ich dachte, du wärst ungefähr so alt wie ich – oder jünger.«
Ein paar Sekunden bewegte er sich nicht. Doch dann blickte er auf mich hinunter und lächelte mich schwach an. »Alles Gute zum Geburtstag, Sassenach«, sagte er.
Das war das Letzte, womit ich gerechnet hatte, und im ersten Moment starrte ich ihn nur verständnislos an. »Was?«, brachte ich schließlich heraus.
»Ich habe dir zum Geburtstag gratuliert. Heute ist der zwanzigste Oktober.«
»Tatsächlich?«, sagte ich dumpf. »Ich habe den Überblick ganz verloren.« Ich zitterte jetzt wieder, vor Kälte und Schreck und von der Wucht meines Redeschwalls. Er zog mich dicht an sich und hielt mich fest, strich mir sacht mit den Händen über das Haar und wiegte meinen Kopf an seiner Brust. Ich fing wieder an zu weinen, diesmal jedoch vor Erleichterung. Ich war so aufgelöst, dass es mir logisch erschien, dass alles gut werden würde, wenn er mich immer noch wollte, obwohl er mein wahres Alter kannte.
Jamie hob mich auf und trug mich vorsichtig an den Rand des Feuers, wo der Sattel des Pferdes lag. Er setzte sich hin, lehnte sich an den Sattel und hielt mich, sanft und doch fest.
Lange Zeit später sagte er: »Also gut. Dann erzähle es mir.«
Ich erzählte es ihm. Erzählte ihm alles, stockend, aber zusammenhängend. Ich fühlte mich taub vor Erschöpfung, aber froh, wie ein Kaninchen, das den Fuchs abgehängt hat und vorübergehend Schutz unter einem Baumstamm gefunden hat. Es ist zwar keine endgültige Zuflucht, aber zumindest Raum zum Atemholen. Und ich erzählte ihm von Frank.
»Frank«, sagte er leise. »Dann ist er also noch gar nicht tot.«
»Er ist noch gar nicht geboren.« Wieder spürte ich eine kleine Woge der Hysterie unter meinen Rippen aufsteigen, doch es gelang mir, sie niederzukämpfen. »Genauso wenig wie ich.«
Er brachte mich streichelnd zum Schweigen und murmelte mir beruhigend etwas auf Gälisch zu.
»Als ich dich in Fort William von Randall befreit habe«, sagte er plötzlich, »hast du versucht zurückzukommen. Zu den Steinen. Und … Frank. Darum hast du das Wäldchen verlassen.«
»Ja.«
»Und ich habe dich dafür bestraft.« Seine leise Stimme war voller Bedauern.
»Das konntest du ja nicht wissen. Und ich konnte es dir nicht sagen.« Allmählich wurde ich wirklich sehr schläfrig.
»Nein, ich schätze, das konntest du nicht.« Er zog mir das Plaid enger um die Schultern und steckte es vorsichtig fest. »Schlaf jetzt,
Ich vergrub mich an seiner warmen Schulter und ließ meinen ausgelaugten Verstand in das Vergessen sinken. Noch einmal kämpfte ich mich an die Oberfläche, um zu fragen: »Glaubst du mir wirklich, Jamie?«
Er seufzte und lächelte reumütig auf mich hinunter.
»Aye, ich glaube dir, Sassenach. Aber es wäre um einiges leichter gewesen, wenn du einfach nur Hexe wärst.«
Ich schlief wie eine Tote und erwachte kurz nach Tagesanbruch mit furchtbaren Kopfschmerzen und völlig steifen Gliedern. Jamie hatte einen kleinen Beutel Hafer in seinem Sporran und zwang mich, etwas davon mit kaltem Wasser zu essen. Es blieb mir zwar im Hals stecken, doch ich würgte es herunter.
Er ging geduldig und sanft mit mir um, sprach aber nur sehr wenig. Nach dem Frühstück packte er unser kleines Lager schnell zusammen und sattelte Donas.
Nach den jüngsten Ereignissen war ich so betäubt, dass ich gar nicht fragte, wohin wir unterwegs waren. Ich saß hinter ihm und begnügte mich damit, mein Gesicht an seinen breiten Rücken zu legen und mich von den Bewegungen des Pferdes in einen Zustand seliger Trance wiegen zu lassen.
In der Nähe von Loch Madoch kamen wir wieder ins Tal und schoben uns durch den kühlen Morgennebel zum Ufer einer reglosen grauen Fläche. Aus dem Schilf stiegen Wildenten auf, um in ungeordneten Schwärmen über dem Marschland zu kreisen und quakend die letzten Schläfer am Boden zu wecken. Wie als Kontrast zog ein Keil von Gänsen diszipliniert über uns hinweg, und ihre Rufe klangen nach Schmerz und Herzeleid.
Am Mittag des zweiten Tages hob sich der graue Nebel, und eine wässrige Sonne fiel auf Wiesen voller dunkler Ginsterbüsche. Schließlich erreichten wir eine schmale Straße und wandten uns nach Nordwesten. Wieder führte uns der Weg bergauf, erst durch sanfte Hügel, die nach und nach Türmen aus Granit wichen. Unterwegs begegneten wir nur wenigen Reisenden und versteckten uns in weiser Voraussicht im Unterholz, wenn wir Hufschläge hörten.