Und doch – auch wenn ich die Nachteile und Gefahren dieses Ortes nicht leugnen konnte, musste ich gleichzeitig zugeben, dass ich hier vieles genoss. Die Fortbewegung mochte zwar unkomfortabel sein, doch dafür war die Landschaft nicht von endlosen Betondecken durchzogen, und es gab keine lauten, stinkenden Autos – die ja ihre eigenen Gefahren in sich bargen, überlegte ich. Das Leben war weitaus einfacher, genau wie die Menschen. Nicht weniger intelligent, aber viel direkter – mit einigen leuchtenden Ausnahmen wie Colum mac Campbell MacKenzie, dachte ich grimmig.
Durch Onkel Lamb hatte ich schon an vielen verschiedenen Orten gelebt, darunter einige, die noch unzivilisierter waren als dieser hier. Ich konnte mich problemlos an rauhe Bedingungen anpassen, und die »Zivilisation« fehlte mir eigentlich nie, obwohl ich mich an Annehmlichkeiten wie Elektroherde und Heißwassergeräte genauso problemlos anpasste. Ich erschauerte im kalten Wind und schlug die Arme um mich, während ich den Stein fixierte.
Die Vernunft schien mir nicht weiterzuhelfen. Ich konzentrierte mich auf mein Gefühl und machte mich widerstrebend daran, mir die Einzelheiten meines Ehelebens vor Augen zu führen – erst mit Frank, dann mit Jamie. Das einzige Resultat dieser Vorgehensweise war, dass ich erschüttert in Tränen ausbrach, die ihre eisigen Spuren in meinem Gesicht hinterließen.
Nun, wenn weder Vernunft noch Gefühl halfen, was war mit meinem Pflichtgefühl? Ich hatte Frank ein Eheversprechen gegeben und es von ganzem Herzen ernst gemeint. Jamie hatte ich dasselbe Versprechen gegeben in der festen Absicht, es bei der ersten Gelegenheit zu brechen. Wen von ihnen würde ich jetzt verraten? Ich saß unverwandt da, während die Sonne immer tiefer sank und die Schwalben in ihren Nestern verschwanden.
Als der Abendstern zwischen den schwarzen Kiefernästen auftauchte, kam ich zu dem Schluss, dass mir die Vernunft in dieser Situation keine Hilfe war. Ich würde mich auf etwas anderes verlassen müssen; ich war mir nur nicht sicher, was es war. Ich wandte mich dem gespaltenen Stein zu und ging einen Schritt, dann noch einen, dann noch einen. Ich blieb stehen, drehte mich um und versuchte es in die andere Richtung. Ein Schritt, noch einer und noch einer, und ehe mir klar wurde, dass mein Entschluss gefallen war, war ich auf halbem Weg nach unten. Ich versuchte, mich an Grasbüscheln festzuhalten, und rutschte über das Geröll.
Als ich die Kate erreichte, war ich atemlos vor Angst, er könnte schon fort sein, doch zu meiner Beruhigung sah ich Donas in der Nähe grasen. Das Pferd hob den Kopf und sah mich böse an. Leise öffnete ich die Tür.
Er lag auf der schmalen Kaminbank und schlief. Wie immer schlief er auf dem Rücken, die Hände auf dem Bauch verschränkt, den Mund leicht geöffnet. Die letzten Strahlen des Tageslichts, die hinter mir durch das Fenster fielen, schienen sein Gesicht in eine Metallmaske zu tauchen; die silbernen Spuren getrockneter Tränen glänzten auf goldener Haut, und das Kupfer seiner Bartstoppeln schimmerte dumpf.
Ein paar Minuten stand ich nur da und sah ihn an, von unaussprechlicher Zärtlichkeit erfüllt. So behutsam wie möglich legte ich mich neben ihn auf die schmale Bank und schmiegte mich an ihn. Er drehte sich im Schlaf zu mir um, wie er es so oft tat, drückte mich an seine Brust und legte die Wange an mein Haar. Halb bei Bewusstsein streckte er die Hand aus, um sich mein Haar aus seiner Nase zu streichen; ich spürte den plötzlichen Ruck, als er erwachte, weil er begriff, dass ich da war, und dann verloren wir das Gleichgewicht, kugelten gemeinsam zu Boden, und Jamie landete auf mir.
Kein Zweifel, er war aus Fleisch und Blut. Ächzend drückte ich ihm mein Knie in den Bauch.
»Herunter von mir! Ich bekomme keine Luft!«
Stattdessen trug er mit einem ausgiebigen Kuss weiter zu meiner Atemlosigkeit bei. Also ignorierte ich den Sauerstoffmangel vorübergehend, um mich auf Wichtigeres zu konzentrieren.
Danach hielten wir uns einfach fest, ohne etwas zu sagen. Schließlich murmelte er »Warum?« und hielt den Mund in meinem Haar vergraben.
Ich küsste seine Wange, feucht und salzig. Ich konnte seinen Herzschlag an meinen Rippen spüren und wünschte mir nichts mehr, als für ewig in dieser Position zu verharren, reglos, ohne uns zu liebkosen, einfach nur dieselbe Luft zu atmen.
»Ich konnte nicht anders«, sagte ich und lachte ein bisschen wackelig. »Du hast ja keine Ahnung, wie knapp es war. Die heiße Badewanne hätte fast gewonnen.« Und dann weinte ich und zitterte ein wenig, weil die Entscheidung noch so frisch war und weil sich mein Glück über den Mann, den ich in meinen Armen hielt, mit dem brennenden Schmerz um den Mann vermischte, den ich nie wiedersehen würde.