Äußerlich freundlich, umkreisten wir einander vorsichtig, während wir uns unterhielten, und beobachteten uns aus den Augenwinkeln. Jamies Schwester, Jamies Frau; Jamie war unausgesprochen der Mittelpunkt, um den sich unsere Gedanken drehten.
Ihre gemeinsame Kindheit verband sie für immer miteinander wie Kette und Schuss eines Stoffs, doch die Muster des Gewebes hatten sich voneinander gelöst, durch Abwesenheit und Argwohn, dann durch ihre Ehen. Ians Faden war schon länger Teil ihres Gewebes, meiner war ganz neu. Wie würde dieses neue Muster der Spannung standhalten, mit der sich die Fäden berührten?
Unser Gespräch verlief zwar an beiläufigen Fronten, doch die unausgesprochenen Worte darunter waren deutlich zu hören.
»Du hast das Haus hier allein geführt, seit deine Mutter tot ist?«
»Oh, aye. Seit ich zehn bin.«
»Jamie sagt, du bist eine außergewöhnliche Heilerin.«
»Ich habe ihm bei unserer ersten Begegnung die Schulter zusammengeflickt.«
»Ich höre, ihr habt sehr schnell geheiratet.«
»Ja, es ging so schnell, dass ich bis kurz vor der Trauung nicht einmal Jamies richtigen Familiennamen kannte.«
Und so ging es weiter. Wir verbrachten den Morgen, ein leichtes Mittagessen und die Nachmittagsstunden damit, uns zu unterhalten und Informationen, Meinungen und zögerliche Witze auszutauschen, um aneinander Maß zu nehmen. Eine Frau, die seit dem zehnten Lebensjahr einen großen Haushalt führte und seit dem Tod ihres Vaters und dem Verschwinden ihres Bruders das Anwesen verwaltete, war ein Mensch, den es nicht zu unterschätzen galt. Ich fragte mich, was sie von mir halten mochte, doch genau wie ihr Bruder schien auch sie die Fähigkeit zu besitzen, ihre Gedanken zu verbergen, wenn sie es für richtig hielt.
Als die Uhr auf dem Kaminsims fünf zu schlagen begann, räkelte sich Jenny gähnend, und das Kleidungsstück, das sie gerade flickte, rutschte ihr über den Bauch auf den Boden.
Sie streckte umständlich den Arm danach aus, doch ich ging neben ihr auf die Knie.
»Nein, lass mich das machen.«
»Danke … Claire.« Es war das erste Mal, dass sie mich beim Namen nannte, begleitet von einem schüchternen Lächeln, das ich erwiderte.
Ehe wir unser Gespräch fortsetzen konnten, wurden wir unterbrochen, weil Mrs. Crook, die Haushälterin, die Nase in den Salon steckte und fragte, ob wir den kleinen Jamie gesehen hätten.
Jenny legte seufzend ihre Näharbeit beiseite.
»Ist er schon wieder entwischt? Keine Sorge, Lizzie. Er ist bestimmt bei seinem Vater oder seinem Onkel. Wollen wir nachsehen, Claire? Ich könnte vor dem Essen etwas frische Luft vertragen.«
Schwerfällig erhob sie sich und drückte sich die Hände ins Kreuz. Sie stöhnte und lächelte mich dabei ironisch an.
»Noch drei Wochen ungefähr. Ich kann es kaum noch abwarten.«
Wir spazierten langsam über das Gelände. Jenny zeigte mir das Brauhaus und die Kapelle und erzählte mir, wann diese Teile des Anwesens entstanden waren.
Als wir uns dem Taubenschlag näherten, hörten wir Stimmen im Obstgarten.
»Da ist er ja, der kleine Schlingel!«, rief Jenny aus. »Warte nur, bis ich ihn in die Finger kriege«, setzte sie hinzu.
»Halt.« Ich legte ihr die Hand auf den Arm, weil ich die tiefere Stimme erkannte, die die Worte des Jungen begleitete.
»Keine Sorge, Mann«, ertönte Jamies Stimme. »Das lernst du schon. Es ist ein bisschen schwierig, nicht wahr, wenn dein Schwanz nicht weiter hervorragt als dein Bauchnabel?«
Ich spitzte mit meinem Kopf um die Ecke und sah ihn auf dem Hackklotz sitzen, in ein Gespräch mit seinem Namensvetter vertieft, der tapfer mit den Falten seines Hemdchens kämpfte.
»Was machst du denn mit dem Kind?«, erkundigte ich mich vorsichtig.
»Ich bringe unserem kleinen James die Kunst bei, im Stehen zu pinkeln«, erklärte er. »Das ist doch wohl das mindeste, was sein Onkel tun kann.«
Ich zog die Augenbraue hoch. »Reden kann jeder. Das mindeste, was sein Onkel tun kann, ist doch wohl, es ihm zu zeigen.«
Er grinste. »Oh, wir hatten schon ein paar praktische Demonstrationen. Aber beim letzten Mal gab es einen kleinen Unfall.« Er wechselte einen anklagenden Blick mit seinem Neffen. »Sieh