Murtagh meldete sich ungeduldig zu Wort. »Nun, wir können ihn ja nicht zurücklassen, oder? Die Rotröcke können zwar im Dunkeln keine Spuren lesen, aber sie werden die Kate früher oder später finden, da helfen auch keine Fensterläden. Und mit dem Loch in der Schulter geht Jamie wohl kaum als unschuldiger Bauernlümmel durch.«
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Dougal knapp. »Ich habe nicht vor, ihn zurückzulassen.«
Der Mann mit dem Schnurrbart seufzte. »Dann geht es nicht anders. Wir müssen versuchen, den Arm wieder einzurenken. Murtagh, du und Rupert, ihr haltet ihn fest; ich werde es versuchen.«
Ich sah mitleidig zu, wie er den Arm des jungen Mannes am Handgelenk und am Ellbogen packte und begann, ihn mit Gewalt nach oben zu drücken. Der Winkel war völlig falsch; es musste dem Jungen Höllenqualen verursachen. Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht, doch er stieß keinen Laut aus bis auf ein leises Stöhnen. Plötzlich sackte er vornüber, und nur die Männer, die ihn festhielten, verhinderten, dass er auf den Boden fiel.
Einer öffnete eine Feldflasche und drückte sie ihm an die Lippen. Der Geruch des Rohalkohols drang bis zu mir vor. Der junge Mann hustete und würgte, schluckte aber, und bernsteinfarbene Flüssigkeit tropfte auf die Fetzen seines Hemds.
»Bereit für den nächsten Versuch, Junge?«, fragte der kahlköpfige Mann. »Oder vielleicht sollte Rupert es versuchen?«, schlug er vor und wandte sich dem untersetzten, schwarzbärtigen Grobian zu.
Der so Angesprochene ließ seine Finger knacken, als bereitete er sich auf einen Baumstammweitwurf vor, und ergriff das Handgelenk des jungen Mannes. Er hatte eindeutig vor, das Schultergelenk mit blanker Gewalt einzurenken; eine Vorgehensweise, bei der der Arm vermutlich wie ein Besenstiel brechen würde.
»Machen Sie das bloß nicht!« Während jeder Fluchtgedanke in professioneller Entrüstung unterging, setzte ich mich in Bewegung, ohne die verblüfften Blicke der Männer zu beachten.
»Was soll das heißen?«, fuhr mich der Glatzkopf an, sichtlich irritiert über meine Einmischung.
»Das soll heißen, dass Sie ihm den Arm brechen, wenn Sie es so machen«, fuhr ich ihn meinerseits an. »Bitte treten Sie zurück.« Ich schob Rupert mit dem Ellbogen beiseite und griff selbst nach dem Handgelenk des Patienten. Er sah mindestens so überrascht aus wie der Rest, leistete aber keinen Widerstand. Seine Haut war zwar sehr warm, doch ich hatte nicht den Eindruck, dass er Fieber hatte.
»Man muss den Oberarmknochen in den richtigen Winkel bringen, damit er wieder in die Gelenkpfanne rutscht«, erklärte ich und grunzte, als ich das Handgelenk hochzog und den Ellbogen zu mir drehte. Der junge Mann war kräftig; sein Arm war schwer wie Blei.
»Jetzt kommt das Schlimmste«, warnte ich den Patienten. Ich umfasste den Ellbogen, um ihn zu heben und einrasten zu lassen.
Sein Mund zuckte, nicht ganz ein Lächeln. »Viel schlimmer kann es nicht werden. Also los.« Inzwischen brach auch mir der Schweiß im Gesicht aus. Eine Schulter einzurenken ist schon unter normalen Umständen harte Arbeit. Es bei einem kräftigen Mann zu tun, der sich die Schulter vor Stunden ausgekugelt hatte und dessen Muskeln jetzt geschwollen waren und an dem Gelenk zogen, nahm meine ganze Kraft in Anspruch. Das Feuer war gefährlich nah; ich hoffte, dass wir nicht beide hineinpurzeln würden, wenn das Gelenk mit einem Ruck wieder einrastete.
Plötzlich knirschte die Schulter leise, und die Schulter war wieder eingerenkt. Der Gesichtsausdruck des Patienten spiegelte totales Erstaunen wider. Er hob ungläubig die Hand, um nachzufühlen.
»Die Schmerzen sind verschwunden!« Ein breites Grinsen entzückter Erleichterung zog sich über sein Gesicht, und die Männer brachen in Beifallsrufe und Applaus aus.
»Sie kommen wieder!« Ich schwitzte zwar vor Anstrengung, war aber sehr zufrieden mit mir und meinem Werk. »Der Arm wird die nächsten Tage sehr empfindlich sein. Das Gelenk darf zwei oder drei Tage nicht belastet werden, danach anfangs dann sehr langsam. Sofort aufhören, wenn es anfängt zu schmerzen! Und täglich warme Kompressen auflegen.«
Während ich diese Ratschläge erteilte, wurde mir bewusst, dass der Patient mir zwar respektvoll zuhörte, die anderen Männer mich aber mit Blicken bedachten, die von bloßer Verwunderung bis hin zu unverhohlenem Argwohn reichten.
»Ich bin Schwester«, erklärte ich, weil ich mich angegriffen fühlte.
Dougal zog die Augenbrauen hoch.
»Wie dem auch sei«, sagte er und sah mich stirnrunzelnd an. »Könnt Ihr den Jungen so verbinden, dass er auf einem Pferd sitzen kann?«
»Ja, das kann ich«, sagte ich – zu gereizt, um mich noch über seine antiquierte Ausdrucksweise zu wundern. »Vorausgesetzt es gibt etwas, womit ich ihn verbinden kann. Aber wie kommen Sie darauf, dass ich Lust habe, Ihnen zu helfen?«