Mein Begleiter schien keine nennenswerten Schwierigkeiten zu haben, obwohl er die rechte Hand nicht benutzen konnte. Hinter mir konnte ich seine Oberschenkel spüren, die sich hin und wieder verlagerten und Druck ausübten, um das Pferd zu lenken. Ich klammerte mich an die Kante des kurzen Sattels, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Zwar saß ich nicht zum ersten Mal auf einem Pferd, ritt aber nicht annähernd so gut wie dieser Jamie.
Nach einer Weile erreichten wir eine Kreuzung, wo wir kurz anhielten, während sich der kahlköpfige Mann und der Anführer leise beratschlagten. Jamie legte dem Pferd die Zügel auf den Hals und ließ es zum Grasen an den Straßenrand gehen, während er sich hinter mir zu winden begann.
»Vorsichtig!«, sagte ich. »Stillhalten, sonst löst sich der Verband. Was soll das bitte schön werden?«
»Ich will mein Plaid um Euch legen«, erwiderte er. »Ihr zittert ja. Aber mit einer Hand kann ich es nicht. Könnt Ihr den Verschluss der Brosche für mich erreichen?«
Nach einigem ungelenken Hin und Her schafften wir es, das Plaid loszuziehen. Mit einer überraschend geschickten Bewegung schwang er den Stoff um uns und ließ ihn wie eine Stola auf seinen Schultern landen. Dann legte er die Enden um meine Schultern und steckte sie unter die Sattelkante, so dass wir beide warm umhüllt waren.
»So!«, sagte er zufrieden. »Damit Ihr nicht erfriert, ehe wir da sind.«
»Danke«, sagte ich, wirklich dankbar für diesen Schutz. »Aber wohin reiten wir überhaupt?«
Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, denn es war zu dicht hinter mir, doch er überlegte eine Weile, ehe er antwortete.
Schließlich lachte er kurz auf. »Um die Wahrheit zu sagen, Kleine, ich weiß es nicht. Wir werden es sicher beide herausfinden, wenn wir da sind, wie?«
Irgendwie kam mir die Landschaft, durch die wir ritten, schwach bekannt vor. Ich hatte doch diese große Felsformation, die geformt war wie ein Hahnenschwanz, schon einmal gesehen?
»Cocknammon Rock!«, rief ich aus.
»Aye, das stimmt«, bestätigte mein Begleiter, den dieser Geistesblitz nicht weiter zu erregen schien.
»Haben sich die Engländer hier nicht gerne in den Hinterhalt gelegt?«, fragte ich und versuchte, mich an die öden Details der örtlichen Geschichte zu erinnern, über die mir Frank im Lauf der letzten Woche stundenlange Vorträge gehalten hatte. »Falls sich eine englische Patrouille in der Gegend befindet …« Ich zögerte. Falls sich eine englische Patrouille in der Gegend befand, war es vielleicht falsch, das anzusprechen. Andererseits würde ich im Fall eines Hinterhalts nicht von meinem Begleiter zu unterscheiden sein, da wir ja beide in ein und dasselbe Plaid gehüllt waren. Und dann fiel mir zum wiederholten Mal Hauptmann Jonathan Randall ein, und ich erschauerte unwillkürlich. Alles, was ich gesehen hatte, seit ich den gespaltenen Stein durchschritten hatte, deutete auf die vollkommen irrationale Schlussfolgerung hin, dass der Mann, dem ich im Wald begegnet war, tatsächlich Franks berüchtigter Ahnherr war. Ich weigerte mich zwar hartnäckig, diese Schlussfolgerung anzuerkennen, war aber nicht imstande, eine andere zu formulieren, die zu den Tatsachen passte.
Zuerst hatte ich mir ja eingebildet, dass ich einfach nur lebhafter träumte als sonst, doch Randalls Kuss hatte diesen Eindruck mit seiner rüden Vertrautheit und seiner unmittelbaren Körperlichkeit zerstreut. Dass mir Murtagh eins über den Schädel gebrummt hatte, bildete ich mir auch nicht ein; zu der empfindlichen Stelle auf meiner Kopfhaut gesellte sich jetzt das Scheuern meiner Oberschenkel am Sattel, das mir ganz und gar nicht wie ein Traum vorkam. Und das Blut; ja, Blut war mir durchaus so vertraut, dass ich schon davon geträumt hatte. Doch noch nie hatte ich von Blutgeruch geträumt, diesem warmen Kupferton, den ich an dem Mann hinter mir immer noch riechen konnte.
Er schnalzte mit der Zunge und trieb unser Pferd neben das des Anführers, mit dessen massigem Schatten er jetzt ein gälisches Gespräch anfing. Die Pferde fielen in den Schritt.
Auf ein Signal des Anführers blieben Jamie, Murtagh und der kleine Glatzkopf zurück, während die anderen ihren Pferden die Sporen gaben und auf den Felsen zugaloppierten, der eine Viertelmeile entfernt zu unserer Rechten aufragte. Der Halbmond war aufgegangen, und sein Licht reichte zwar aus, um die Glockenblumen am Wegrand auszumachen, doch im Schatten der Felsspalten konnte sich alles Mögliche verbergen.
Just als die dahingaloppierenden Gestalten den Felsen passierten, blitzte Musketenfeuer in einer Mulde auf. Direkt hinter mir erscholl ein Schrei, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, und das Pferd preschte los, als hätte es jemand mit einem spitzen Stock gestochen. In aberwitzigem Tempo rasten wir durch das Heidekraut auf den Felsen zu, flankiert von Murtagh und dem anderen Mann, die Nachtluft erfüllt von ohrenbetäubendem Gebrüll.