Die Zeremonie endete mit einem kurzen Gebet auf Lateinisch. Dann legte der Abt Jamie die Hand auf den Kopf und sagte auf Englisch: »Herr, in Deine Hände befehlen wir die Seele Deines Dieners James. Heile ihn, so beten wir, wenn dies Dein Wille ist, und schenke seiner Seele Kraft, auf dass er von Gnade erfüllt werde und Deinen Frieden in der Ewigkeit finde.«
»Amen«, erwiderten die anderen Mönche. Und ich tat es auch.
Als es dunkel wurde, war der Patient wieder halb bewusstlos. Während Jamie die Kräfte schwanden, blieb uns nichts anderes mehr übrig, als ihn hin und wieder für einen lebenserhaltenden Schluck Wasser zu wecken. Seine Lippen waren aufgeplatzt und pellten sich, und er konnte nicht mehr sprechen, obwohl er immer noch die glasigen Augen öffnete, wenn man ihn kräftig schüttelte. Er erkannte uns nicht mehr; er starrte nur vor sich hin, dann schloss er allmählich die Augen und wandte sich stöhnend ab.
Ich stand am Bett und blickte auf ihn hinunter, derart erschöpft von den Strapazen des Tages, dass ich nur noch dumpfe Verzweiflung empfand. Bruder Polydore berührte mich sanft und holte mich aus meiner Benommenheit.
»Ihr könnt jetzt nichts mehr für ihn tun«, sagte er und führte mich entschlossen beiseite. »Ihr müsst Euch ausruhen.«
»Aber …«, begann ich, dann verstummte ich. Ich begriff, dass er recht hatte.
Wir hatten alles getan, was möglich war. Entweder würde das Fieber bald von selbst nachlassen – oder Jamie würde sterben. Selbst der kräftigste Körper konnte dem verzehrenden Ansturm hohen Fiebers nicht länger als ein oder zwei Tage standhalten, und Jamie hatte einer solchen Belagerung nur noch wenig Kraft entgegenzusetzen.
»Ich bleibe bei ihm«, sagte Polydore. »Geht zu Bett. Ich rufe Euch, wenn …« Er beendete den Satz nicht, sondern winkte mich in die Richtung meines Zimmers davon.
Schlaflos lag ich wenig später auf meiner Liege und blickte zu den Deckenbalken auf. Meine Augen waren trocken und brannten, und mein Hals schmerzte, als bekäme auch ich jetzt Fieber. War das die Antwort auf mein Gebet, dass wir hier zusammen sterben würden?
Schließlich erhob ich mich und nahm Schüssel und Krug vom Tisch an der Tür. Ich stellte die schwere Keramikschale mitten auf den Boden und füllte sie vorsichtig, bis das Wasser in einer bebenden Blase über den dicken Rand hing.
Auf dem Weg in mein Zimmer hatte ich einen kurzen Abstecher in Bruder Ambroses Kräuterkammer gemacht. Ich öffnete die kleinen Kräuterpäckchen und streute den Inhalt in mein Kohlebecken, wo die Myrrheblättchen als duftender Rauch aufstiegen und die Kampferkrümel in der roten Glut der Holzkohle zu kleinen blauen Zungen wurden.
Ich stellte den Kerzenhalter hinter mein Spiegelbecken, setzte mich davor und ließ mich nieder, um einen Geist herbeizubeschwören.
Der steinerne Korridor war kalt und dunkel und wurde in Abständen von dumpf flackernden Öllampen erhellt, die an der Decke hingen. Jedes Mal, wenn ich auf meinem kurzen Weg unter einer solchen Lampe hindurchging, zog sich mein Schatten vor meinen Füßen in die Länge, bis er mit einem Satz kopfüber in der Dunkelheit zu verschwinden schien.
Trotz der Kälte war ich barfuß und trug nur ein einfaches weißes Nachtgewand aus Baumwolle. Eine kleine Umhüllung aus Wärme begleitete mich unter der Robe, doch die Kälte der Steine kroch mir an den Füßen und Beinen hinauf.
Ich klopfte leise, einmal, und schob die schwere Tür auf, ohne eine Antwort abzuwarten.
Bruder Roger war bei ihm. Er saß mit gesenktem Kopf am Bett und betete einen Rosenkranz. Die hölzerne Perlenkette klapperte zwar, als er aufblickte, doch seine Lippen bewegten sich noch einige Sekunden lautlos weiter und beendeten ihr Ave Maria, ehe er meine Anwesenheit zur Kenntnis nahm.
Er kam zu mir an die Tür und sprach leise, obwohl klar war, dass er auch hätte rufen können, ohne die reglose Gestalt auf dem Bett zu stören.
»Unverändert. Ich habe gerade frisches Wasser in das Handbad gefüllt.« Auf dem kleinen, frisch gefüllten Zinnkessel über dem Kohlebecken glänzten ein paar Tropfen.
Ich nickte und legte ihm dankend die Hand auf den Arm. Nach den Phantasiebildern der letzten Stunde war er überraschend solide und warm, und das tröstete mich ein wenig.
»Ich würde gern allein bei ihm bleiben, wenn es Euch nichts ausmacht.«
»Natürlich. Ich gehe in die Kapelle – oder sollte ich lieber in der Nähe bleiben, falls …« Er verstummte zögernd.
»Nein.« Ich versuchte, beruhigend zu lächeln. »Geht nur in die Kapelle. Oder besser noch, geht zu Bett. Ich kann nicht schlafen; ich bleibe bis zum Morgen hier. Wenn ich Hilfe brauche, lasse ich Euch holen.«
Nach wie vor skeptisch, warf er noch einmal einen Blick auf das Bett. Doch es war sehr spät, und er war müde; unter den gütigen braunen Augen lagen tiefe Schatten.
Die Scharniere der schweren Tür ächzten, und ich war allein mit Jamie. Ich war allein, ich hatte Angst, und mein Vorhaben erfüllte mich mit sehr, sehr großen Zweifeln.