Outlander – Feuer und Stein: 1 (German Edition)

»Ich habe es nicht getan. Ich weiß nicht, warum. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich ihm die Stiefel geleckt oder ihn den König von Schottland genannt. Aber ich war nicht bereit, ihm das zu sagen. Ich erinnere mich noch nicht einmal, darüber nachgedacht zu haben; es … ging einfach nicht.« Er seufzte, und seine gesunde Hand zuckte und packte die Bettdecke.

»Er hat mich noch einmal genommen – brutal. Und hat nicht aufgehört, es zu sagen: ›Sag mir, dass du mich liebst, Alex. Sag, dass du mich liebst.‹«

»Er hat dich Alex genannt?«, unterbrach ich ihn, weil ich die Frage nicht für mich behalten konnte.

»Aye. Ich weiß noch, dass ich erstaunt war, woher er meinen Zweitnamen kannte. Bin aber nicht darauf gekommen, mich zu fragen, warum er ihn benutzte, selbst wenn er ihn kannte.« Er zuckte mit den Schultern.

»Jedenfalls habe ich mich nicht bewegt und kein Wort gesagt, und als er fertig war, ist er aufgesprungen, als hätte er den Verstand verloren, und hat angefangen, mit irgendetwas auf mich einzuprügeln – ich konnte nicht sehen, womit – und zu fluchen und mich anzubrüllen: ›Du weißt genau, dass du mich liebst! Sag es mir! Ich weiß, dass es wahr ist!‹ Ich habe mir die Arme vor den Kopf gehalten, um ihn zu schützen, und nach einer Weile muss ich wieder ohnmächtig geworden sein, weil die Schmerzen in meinen Schultern das Letzte waren, woran ich mich erinnere – bis ich eine Art Traum von brüllenden Rindern hatte. Dann bin ich ein paar Sekunden aufgewacht, weil ich bäuchlings auf einem Pferd durchgerüttelt wurde. Und dann nichts mehr, bis ich vor dem Kamin in Eldridge zu mir gekommen bin und du mich angesehen hast.« Er schloss die Augen wieder. Sein Ton war verträumt und beinahe gleichgültig.

»Ich glaube … wenn ich es ihm gesagt hätte … hätte er mich umgebracht.«

Manche Menschen haben Alpträume, die mit Monstern bevölkert sind. Ich träumte von Stammbäumen mit dünnen schwarzen Zweigen, auf denen reihenweise Daten angeordnet waren, verbunden durch Linien wie Schlangen mit dem Tod zwischen den Klammern ihrer Kiefer. Wieder hörte ich Franks Stimme sagen: Er ist Soldat geworden, gute Wahl für einen Zweitgeborenen; sein jüngerer Bruder ist ebenfalls der Tradition gefolgt und Geistlicher geworden, aber ich habe noch nicht viel über ihn herausgefunden … Auch ich wusste nicht viel über ihn. Nur seinen Namen. Es hatten drei Söhne auf diesem Stammbaum gestanden; die Söhne von Joseph und Mary Randall. Ich hatte den Eintrag ja oft gesehen: der älteste, William, der mittlere, Jonathan, und der dritte, Alexander.

Jamie sprach weiter und riss mich aus meinen Gedanken.

»Sassenach?«

»Ja?«

»Weißt du noch, was ich dir von der Festung in meinem Inneren erzählt habe?«

»Ja.«

Er lächelte, ohne die Augen zu öffnen, und streckte die Hand nach mir aus.

»Nun, ich habe zumindest einen Unterstand gebaut. Und ein Dach, um den Regen fernzuhalten.«

Ich ging müde, aber friedvoll zu Bett – und voller Fragen. Jamie würde wieder gesund werden. Solange es daran Zweifel gab, hatte ich nie weiter geblickt als bis zur nächsten Stunde, zur nächsten Mahlzeit, zur nächsten Dosis Medizin. Doch jetzt musste ich den Blick in die Zukunft richten.

Das Kloster bot uns Zuflucht, doch das konnte nicht von Dauer sein. Wir konnten hier nicht endlos bleiben, so gastfreundlich die Mönche auch waren. In Schottland und England war es viel zu gefährlich, es sei denn, Lord Lovat konnte helfen – unter den Umständen ziemlich unwahrscheinlich. Unsere Zukunft musste auf dieser Seite des Kanals liegen. Angesichts dessen, was ich jetzt über Jamies Seekrankheit wusste, verstand ich, warum es ihm widerstrebte, eine Emigration nach Amerika zu erwägen – drei Monate der Übelkeit waren eine entmutigende Aussicht. Was blieb uns also?

Am wahrscheinlichsten Frankreich. Wir sprachen beide fließend Französisch. Jamie war zwar genauso versiert im Spanischen, Deutschen oder Italienischen, doch ich war nicht mit einem derartigen Sprachtalent gesegnet. Außerdem hatten die Frasers hier viele Verbindungen. Vielleicht konnten wir ja auf dem Anwesen eines Verwandten oder Freundes Unterschlupf finden und friedlich auf dem Land leben. Die Idee war sehr verlockend.

Doch wie immer war da die Frage der Zeit. Es war Anfang 1744 – das neue Jahr war gerade zwei Wochen alt. Und 1745 würde Bonnie Prince Charlie von Frankreich nach Schottland segeln, der junge Prätendent, der den Thron seines Vaters für sich beanspruchen wollte. Er würde die Katastrophe mit sich bringen; Krieg und Gemetzel, das Ende der Highlandclans und damit die Vernichtung von allem, was Jamie – und mir – lieb und teuer war.