Er brach ein Stück von der Pastete ab und reichte es mir dampfend herüber. Ich beachtete es nicht und richtete den Blick auf die Oberfläche meines Ales. »Die beiden Männer, die ich getötet habe«, sagte ich, »jeder von ihnen hätte ja vielleicht Kinder bekommen, wenn ich ihn nicht getötet hätte. Vielleicht hätten sie …« Ich schwenkte hilflos den Becher. »Wer weiß, was sie in ihrem Leben alles getan hätten? Vielleicht habe ich ja Einfluss auf die Zukunft genommen … nein, ich
»Hm.« Anselm grunzte nachdenklich und winkte einem Laienbruder zu, der mit einem frischen Pastetchen und neuem Ale herbeieilte. Er füllte beide Becher nach, ehe er wieder sprach.
»Ihr mögt ja ein Leben genommen haben, doch Ihr habt Leben bewahrt. Wie viele der Kranken, die Ihr behandelt habt, wären ohne Euer Dazutun gestorben? Auch sie werden Einfluss auf die Zukunft nehmen. Was, wenn ein Mensch, den Ihr gerettet habt, etwas Furchtbares tut? Ist das Eure Schuld? Hättet Ihr diese Person daher besser sterben lassen? Natürlich nicht.« Er stieß zur Betonung seinen Zinnbecher auf den Tisch, dessen Inhalt leicht überschwappte.
»Ihr sagt, Ihr habt Angst, hier zu handeln, weil Ihr fürchtet, Einfluss auf die Zukunft zu nehmen. Das ist unlogisch, Madame.
»Die Wege des Herrn sind uns verborgen, und dies gewiss mit gutem Grund. Ihr habt recht,
»Eure Kenntnis der Zukunft ist ein Werkzeug, das Euch mitgegeben wurde, so wie sich ein Schiffbrüchiger vielleicht im Besitz eines Messers oder einer Angelschnur befindet. Es ist nicht unmoralisch, es zu benutzen, solange Ihr es im Einvernehmen mit dem Diktat des göttlichen Gesetzes tut, so gut Ihr könnt.«
Er hielt inne, holte tief Luft und atmete mit einem derart heftigen Seufzer aus, dass es ihm den seidigen Schnurrbart zerzauste. Er lächelte.
»Und das,
Er schob das frische Pastetchen zu mir hinüber.
»Doch was auch immer Ihr tut, Ihr werdet Kraft dazu brauchen. Nehmt also einen letzten Rat an: Im Fall des Zweifels esst etwas.«
Als ich abends in Jamies Zimmer kam, lag er auf dem Bauch, hatte den Kopf friedlich auf die Unterarme gebettet und schlief. Die leere Suppenschale stand gesittet auf dem Tablett, daneben der unberührte Teller mit Brot und Fleisch. Ich ließ den Blick von seinem unschuldigen, träumenden Gesicht zum Teller und zurück schweifen. Dann berührte ich das Brot. Mein Finger hinterließ eine kleine Delle in der feuchten Oberfläche. Frisch.
Ich ließ ihn schlafen und machte mich auf die Suche nach Bruder Roger, den ich in der Molkerei fand.
»Hat er Brot und Fleisch gegessen?«, fragte ich ohne Umschweife.
Bruder Roger lächelte in seinen Wuschelbart hinein. »Ja.«
»Hat er es bei sich behalten?«
»Nein.«
Ich sah ihn scharf an. »Ihr habt hoffentlich nicht hinter ihm sauber gemacht?«
Das belustigte ihn, und die runden Wangen über seinem Bart röteten sich. »Hätte ich das gewagt? Nein, er war so vorsichtig, eine Schüssel in Reichweite zu haben.«
»Verdammter, listiger Schotte«, sagte ich und lachte unwillkürlich. Ich kehrte zu seiner Kammer zurück und küsste ihn sacht auf die Stirn. Er bewegte sich zwar, erwachte aber nicht. Ich beherzigte Vater Anselms Rat und nahm den Teller mit dem frischen Brot und dem Fleisch zum Abendessen in mein Zimmer mit.