Weil ich Jamie Zeit zur Erholung lassen wollte, sowohl von seiner schlechten Laune als auch von seiner Übelkeit, verbrachte ich den Großteil des nächsten Tages in meinem Zimmer und las in einem Kräuterbuch, das ich von Bruder Ambrose bekommen hatte. Nach dem Mittagessen wollte ich einen Blick auf meinen widerspenstigen Patienten werfen. An Jamies Stelle traf ich jedoch Murtagh an, der auf einem Hocker saß, den er rückwärts an die Wand gekippt hatte, und der mich verwundert betrachtete.
»Wo ist er?«, sagte ich und blickte mich verständnislos im Zimmer um.
Murtagh wies mit einem Ruck seines Daumens zum Fenster. Es war ein kalter, finsterer Tag, und die Lampen brannten. Das Fenster war nicht verhangen, und der eisige Luftzug ließ die kleine Flamme in ihrem Behältnis flackern.
»Er ist
Jamie hatte die vergangenen Tage weitgehend nackt verbracht, weil es im Zimmer warm war und ihm jeder Druck auf seine heilenden Wunden Schmerzen bereitete. Er hatte das Gewand eines Mönchs getragen, wenn er mit Bruder Rogers Hilfe die nötigen kurzen Ausflüge aus seinem Zimmer unternahm, doch die Kutte lag ordentlich zusammengefaltet am Fuß des Bettes.
Murtagh ließ den Hocker nach vorn kippen und musterte mich wie eine Eule.
»Wie viele Fragen sind das? Vier?« Er hielt die Hand hoch und streckte den Zeigefinger aus.
»Erstens: Aye, er ist draußen.« Der Mittelfinger erhob sich. »Zweitens: Woher soll ich das wissen?« Der Ringfinger kam dazu. »Drittens: Warum? Er hat gesagt, er hätte es satt, hier eingesperrt zu sein.« Der kleine Finger wackelte kurz. »Viertens: Keine Ahnung. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hatte er gar nichts an.«
Murtagh faltete die vier Finger zusammen und streckte den Daumen aus.
»Und danach hast du mich zwar nicht gefragt, aber er ist seit ungefähr einer Stunde fort.«
Ich kochte innerlich und hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Da der eigentliche Übeltäter nicht verfügbar war, ging ich stattdessen auf Murtagh los.
»Weißt du denn nicht, dass es da draußen beinahe friert und dass Schnee heraufzieht? Warum hast du ihn denn nicht aufgehalten? Und wie meinst du das, er hat gar nichts an?«
Der knorrige Schotte ließ sich nicht beirren. »Aye, ich weiß. Er vermutlich auch, denn er ist ja nicht blind. Was das Aufhalten angeht, ich habe es versucht.« Er wies kopfnickend auf die Robe auf dem Bett.
»Als er gesagt hat, er würde ins Freie gehen, habe ich gesagt, dafür wäre er noch nicht kräftig genug und du würdest mir den Kopf abreißen, wenn ich ihn gehen ließe. Ich habe mir seine Kutte genommen und mich mit dem Rücken an die Tür gestellt und ihm gesagt, er könnte dieses Zimmer nur verlassen, wenn er bereit wäre, durch mich hindurchzugehen.«
Murtagh hielt inne, dann sagte er völlig belangloserweise: »Ellen MacKenzie hatte das reizendste Lächeln, das ich je gesehen habe; ein Anblick, der einen Mann durch und durch erwärmen konnte.«
»Also hast du ihren sturköpfigen Sohn gehen lassen, auf dass er erfriert«, sagte ich ungeduldig. »Was hat denn das Lächeln seiner Mutter damit zu tun?«
Murtagh rieb sich nachdenklich die Nase. »Nun, als ich gesagt habe, dass ich ihn nicht gehen lasse, hat mich unser lieber Jamie einfach nur angesehen. Dann hat er mich angelächelt, wie es sonst nur seine Ma konnte, und ist wieselflink splitternackt aus dem Fenster gestiegen. Bis ich am Fenster war, war er fort.«
Ich verdrehte die Augen.
»Ich dachte, du wüsstest gern, wohin er gegangen ist«, fuhr Murtagh fort, »damit du dir keine Sorgen um ihn machst.«
»Damit ich mir keine Sorgen um ihn mache«, knurrte ich auf dem Weg zum Stall vor mich hin. »Er sollte sich besser Sorgen um sich selbst machen, wenn ich ihn erwische!«
Es gab nur die eine Straße, die ins Landesinnere führte. Ich ritt in energischem Tempo vor mich hin und behielt im Vorbeireiten die Felder im Auge. In diesem Teil Frankreichs wurde viel Ackerbau betrieben, und der Wald war glücklicherweise zum Großteil gerodet; hier bestand weniger Gefahr durch Wölfe und Bären als weiter im Inneren.
Ich fand ihn kaum eine Meile jenseits der Klostertore. Er saß auf einem der alten römischen Meilensteine, die die Straßen säumten.
Er war zwar barfuß, trug aber ansonsten ein kurzes Hemd und eine dünne Kniehose, den Flecken nach Eigentum eines der Stalljungen.
Ich parierte das Pferd zum Stehen durch und sah ihn einen Moment auf den Sattel gestützt an. »Deine Nase ist blau«, stellte ich im Konversationston fest. Ich senkte den Blick. »Deine Füße auch.«
Er grinste und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase.
»Und meine Eier. Möchtest du sie mir wärmen?« Trotz der Kälte war er offensichtlich bester Laune. Ich stieg vom Pferd und stellte mich kopfschüttelnd vor ihn hin.
»Es nützt alles nichts, oder?«, fragte ich.
»Was denn?« Er rieb sich mit der Hand über die zerschlissene Hose.