Er schloss die Augen. »Mein Vater war nicht da – er war bei einem Begräbnis auf dem Nachbarhof. Und ich war mit den meisten anderen Männern oben auf den Feldern, denn es war ja Erntezeit und viel zu tun. Also war meine Schwester allein im Haus, bis auf zwei oder drei Hausmädchen. Die waren jedoch alle nach oben gerannt, um die Köpfe unter die Bettdecke zu stecken, als sie die Rotröcke gesehen haben. Sie dachten, der Teufel hätte die Soldaten geschickt. In dem Fall kann ich ihnen allerdings kaum widersprechen.«
Ich legte mein Tuch hin. Das Schlimmste war vorbei; jetzt brauchten wir nur eine Wundkompresse – ohne Jod oder Penizillin war das das Sinnvollste, was ich tun konnte – und einen schönen festen Verband. Der junge Mann, der die Augen immer noch geschlossen hatte, schien den Fortschritt gar nicht zu bemerken.
»In dem Moment bin ich von der Rückseite her zum Haus gekommen, weil ich ein Stück Pferdegeschirr aus der Scheune holen wollte, und ich hörte den Lärm und die Schreie meiner Schwester im Haus.«
»Oh?« Ich versuchte, so leise und unaufdringlich wie möglich zu sprechen. Ich wollte unbedingt mehr über Hauptmann Randall hören; diese Geschichte hatte bis jetzt ausgesprochen wenig dazu beigetragen, meinen ersten Eindruck von ihm zu zerstreuen.
»Ich bin durch die Küche ins Haus und habe zwei von ihnen in der Vorratskammer dabei erwischt, wie sie sich ihre Säcke mit Mehl und Schinken vollgestopft haben. Dem einen habe ich vor den Kopf gehämmert und den anderen mitsamt seinem Sack aus dem Fenster geworfen. Dann bin ich ins Wohnzimmer, wo ich zwei Rotröcke mit meiner Schwester Jenny angetroffen habe. Ihr Kleid war zerrissen, und einer von ihnen hatte ein zerkratztes Gesicht.«
Er öffnete die Augen und lächelte grimmig. »Ich habe nicht gewartet, um Fragen zu stellen. Wir sind aufeinander los, und dafür, dass sie zu zweit waren, habe ich meine Sache gar nicht so schlecht gemacht, bis Randall hereinkam.«
Randall hatte der Prügelei ganz schlicht ein Ende bereitet, indem er Jenny eine Pistole an den Kopf hielt. Zum Aufgeben gezwungen, war Jamie rasch von den beiden Soldaten ergriffen und gefesselt worden. Randall hatte seinen Gefangenen charmant angelächelt und gesagt: »Soso. Da haben wir ja zwei schöne Wildkatzen, wie? Ein bisschen harte Arbeit wird dir schon das Mütchen kühlen, und wenn nicht, wirst du Bekanntschaft mit einer anderen Katze schließen, nämlich der neunschwänzigen. Und für andere Kätzchen gibt es ja noch andere Heilmittel, nicht wahr, meine Kleine?«
Jamie hielt einen Moment inne und knirschte mit den Zähnen. »Er hatte Jenny den Arm hinter den Rücken gedreht, aber in diesem Moment hat er losgelassen, um ihr mit der Hand über die Brust zu fahren.« Er lächelte unerwartet, als er sich an die Szene erinnerte. »Also«, fuhr er fort, »ist ihm Jenny auf den Fuß getreten und hat ihm den Ellbogen in den Bauch gerammt. Und als er dann hustend vornübergesackt ist, ist sie herumgefahren und hat ihn mit dem Knie in die Eier getreten.« Er prustete kurz vor Belustigung.
»Tja, da hat er die Pistole fallen gelassen, und sie hat sich darauf gestürzt, aber einer der Dragoner, die mich im Griff hatten, war schneller.«
Ich hatte ihn fertig verbunden und stand schweigend hinter ihm, meine Hand auf seiner gesunden Schulter. Es schien mir wichtig, dass er mir alles erzählte, doch ich hatte Angst, dass er aufhören würde, wenn er sich an meine Anwesenheit erinnerte.
»Als Randall wieder genug Luft bekam, um zu reden, hat er seinen Männern befohlen, uns beide nach draußen zu bringen. Sie haben mir das Hemd ausgezogen und mich an die Wagendeichsel gebunden, und Randall hat mit dem flachen Säbel auf meinen Rücken eingeschlagen. Er war außer sich vor Wut, aber gleichzeitig ein bisschen mitgenommen. Es hat zwar weh getan, aber er konnte die Prügelei nicht lange durchhalten.«
Der kurze Anflug von Belustigung war jetzt verschwunden, und die Schulter unter meiner Hand war steinhart vor Anspannung. »Als er aufgehört hat, hat er sich zu Jenny umgedreht – einer der Dragoner hielt sie immer noch fest – und sie gefragt, ob sie mehr sehen wollte oder ob sie lieber mit ihm ins Haus gehen und ihm bessere Unterhaltung bieten wollte.« Die Schulter zuckte unbehaglich.
»Ich konnte mich zwar kaum bewegen, aber ich habe ihr zugerufen, ich wäre nicht verletzt – das war ich ja auch kaum – und dass sie um Himmels willen nicht mit ihm gehen sollte, selbst wenn sie mir vor ihren Augen die Kehle durchschneiden würden. Sie war hinter mir, und ich konnte sie nicht sehen, aber es klang so, als hätte sie ihm ins Gesicht gespuckt. Das muss auch so gewesen sein, denn im nächsten Moment hatte er mein Haar gepackt, mir den Kopf in den Nacken gerissen und mir das Messer an die Kehle gesetzt.«
»Da könnte ich dich beim Wort nehmen«, hatte Randall mit zusammengebissenen Zähnen gezischt und ihm die Spitze gerade so tief in die Haut gebohrt, dass Blut aufquoll.