Читаем Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7) полностью

Sie wußte das alles, denn man hatte ihr als besondere Vergünstigung erlaubt, an dem Fest teilzunehmen: Ihr erstes, und zu ihrem großen Gaudium galt es, die gemeine Zwiebel zu feiern. Sie hatte zwischen Schwester Ursula und Schwester Béatitude gestanden, und sie wußte, daß beide scharf aufpaßten für den Fall, daß sie, Alexandra, versuchte auszureißen oder daß sie ins Haus zurückrennen und verrückt spielen würde, und sie ließ eine Stunde langweiligster Ansprachen über sich ergehen, dann eine Stunde Gesang, begleitet von schmetternder militärischer Blechmusik. Anschließend ein Vorbeimarsch von Leuten in Dorftracht, die Ketten von Zwiebeln an langen Stöcken trugen, allen voran der Fahnenschwinger, der an gewöhnlichen Tagen die Milch zum Pförtnerhaus und, wann immer er daran vorbeiwischen konnte, zum Tor des Heims brachte, in der Hoffnung, eines der Mädchen durch das Fenster zu sehen, oder vielleicht war es auch Alexandra, die versuchte, ihn zu sehen.

Nachdem die Dorfglocken sechs Uhr geläutet hatten, beschloß Alexandra, in den tiefsten Tiefen ihres Bettes die Sekunden bis in alle Ewigkeit zu zählen. In ihrer selbstauferlegten Rolle als Kind hatte sie vor sich hingewispert: >eintausendundeins, eintausendundzwei. Um zwölf Minuten nach sechs, nach ihrer kindlichen Berechnung, hörte sie, wie die Oberin Felicitas auf dem Rückweg von der Messe mit ihrem Prachtmoped die Anfahrt hinaufschnurrte und dabei jedem verkündete, daß Felicitas-Felicitas -pop-pop - und niemand sonst - pop-pop - unsere Direktorin und die offizielle Ingangbringerin des Tages war: Niemand sonst - pop-pop - hatte das Zeug dazu. Sie hieß komischerweise gar nicht Felicitas, diesen Namen trug sie für die anderen Nonnen. Ihr eigentlicher Name war, wie sie Alexandra als Geheimnis anvertraut hatte, Nadezhda, was >Hoffnung< bedeutet. Alexandra hatte dafür Felicitas gesagt, daß ihr eigentlicher Name Tatjana sei und nicht Alexandra: Alexandra sei ein neuer Name, erklärte sie, den sie sich speziell für die Schweiz zugelegt habe. Doch Felicitas-Felicitas hatte scharf erwidert, sie solle kein dummes Ding sein.

Nach der Ankunft von Mutter Felicitas hatte Alexandra die weiße Bettdecke bis zu den Augen hochgezogen und beschlossen, daß die Zeit still stehen solle, daß sie ein Kind sei in einem weißen Kinderreich, wo alles schattenlos war, selbst Alexandra, selbst Tatjana. Weiße Lampen, weiße Wände, ein weißes, eisernes Bettgestell. Weiße Heizkörper. Durch die hohen Fenster weiße Berge vor einem weißen Himmel.

Herr Dr. Rüedi, dachte sie, hier ist ein neuer Traum für unser nächstes Donnerstagsgespräch, oder ist es Dienstag?

Hören Sie gut zu, Herr Doktor. Reicht Ihr Russisch dazu aus? Manchmal behaupten Sie, mehr zu verstehen, als in Wirklichkeit der Fall ist. Schön, ich fange an. Ich heiße Tatjana, und ich stehe in meinem weißen Nachthemd vor der weißen Alpenlandschaft, versuche mit der weißen Kreide von Felicitas-Felicitas, deren wirklicher Name Nadezhda ist, auf die Bergwand zu schreiben. Ich trage nichts darunter. Sie behaupten, sich aus solchen Dingen nichts zu machen, aber wenn ich Ihnen erzähle, wie sehr ich meinen Körper liebe, dann sind Sie ganz Ohr, nicht wahr, Herr Dr. Rüedi? Ich kritzle mit der Kreide auf die Bergwand. Ich drücke darauf, wie mit einer Zigarette, die man ausmacht. Ich denke an die schmutzigsten Wörter, die ich kenne - jawohl, Herr Doktor Rüedi, dieses Wort, jenes Wort, doch ich fürchte, daß sie in Ihrem russischen Wortschatz fehlen -, ich versuche, sie hinzuschreiben, aber weiß auf weiß, was kann ein kleines Mädchen schon bewirken, ich frage Sie, Herr Doktor?

Herr Doktor, es ist furchtbar, Sie dürfen nie meine Träume haben. Wissen Sie, daß ich einst eine Hure war, namens Tatjana? Daß ich kein Unrecht tun kann? Daß ich Dinge in Brand stecken kann, auch mich selbst, den Staat schlecht machen und trotzdem von der weisen Obrigkeit nicht bestraft werde? Daß man mich statt dessen durch die Hintertür hinausläßt - geh, Tajana, geh.

Wußten Sie das?

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