»Ich glaube, ich werde darauf verzichten, vielen Dank«, sagte Smiley, und Toby gab eines seiner seltenen Lachen von sich. »Gehört alles zur Botschaft«, sagte Toby, als die Scheinwerfer über einen Hochwald strichen, der nach links abfiel. »Hier spielt die Grigoriewa Volleyball, gibt sie den Kindern politischen Unterricht. George, glauben Sie mir, das ist ein äußerst krasses Weib. Botschaftskindergarten, ideologische Schulung, Tischtennisklub, Damen-Federball - diese Frau schmeißt den ganzen Laden. Wenn Sie's mir nicht glauben, fragen Sie nur die Jungens.« Als sie von der Sackgasse wegfuhren, schaute Smiley zu dem oberen Fenster des Eckhauses hinauf und sah ein Licht aus-und wieder angehen.
»Und das ist Pauli Skordeno, der zu Ihnen sagt >Willkommen in Bern<«, bemerkte Toby. »Es ist uns letzte Woche gelungen, die obere Wohnung zu mieten. Pauli ist ein Reuter-Korrespondent. Wir haben sogar einen Pressepaß für ihn gefälscht. Telegrammkarten, alles.«
Toby hatte am Thunplatz geparkt. Von einem modernen Glockenturm her schlug es elf Uhr. Es fiel feiner Schnee, doch der Nebel riß nicht auf. Einen Augenblick lang sprach keiner von beiden.
»Heute war es genau wie letzte Woche, und letzte Woche genau wie vorletzte, George«, sagte Toby. »Jeden Donnerstag ist es das gleiche. Nach Arbeitsschluß fährt er den Mercedes in eine Garage, läßt auftanken, Ölstand und Batterien prüfen, verlangt eine Quittung. Dann nach Hause. Kurz nach sechs fährt ein Botschaftswagen vor und heraus steigt Krassky, der reguläre Donnerstagkurier aus Moskau. Allein. Ein Bursche, mit dem nicht gut Kirschen essen ist, ein Profi. Bei allen anderen Gelegenheiten ist Krassky immer mit seinem Begleiter Boganow unterwegs Fliegen zusammen, befördern zusammen, essen zusammen Wenn er jedoch Grigoriew besucht, tanzt Krassky aus der Reihe und kommt allein. Bleibt eine halbe Stunde, geht wieder. Warum? Für einen Kurier ist das völlig regelwidrig, George. Äußerst gefährlich, wenn er nicht die nötige Rückendeckung hat, glauben Sie mir.«
»Was halten Sie also von ihm, Toby?« fragte Smiley. »Was ist er?«
Toby wendete die ausgestreckte Hand hin und her. »Grigoriew ist kein ausgebildeter Spion, George. Nicht vom Bau, eine einzige Katastrophe. Aber er ist auch nicht hasenrein. Ein Zwitter, George.«
Genau wie Kirow, dachte Smiley,
»Glauben Sie, daß wir genug über ihn haben?« fragte Smiley.
»Technisch kein Problem; die Bank, der falsche Name, vor allem Klein-Natascha: Technisch haben wir eine Handvoll Trümpfe.«
»Und Sie meinen, daß er brennen wird«, sagte Smiley mehr bestätigend als fragend.
In der Dunkelheit drehte Toby wieder die Hand, nach oben, nach unten.
»Verbrennen ist immer Glückssache, George, verstehen Sie mich? Manche Burschen kriegen's mit der Heldenhaftigkeit und wollen plötzlich für ihr Vaterland sterben. Andere wieder rollen sich zusammen und rühren sich nicht mehr, sobald man den Arm um sie legt. Bei Erpressung schalten manche Leute auf stur, verstehen Sie?«
»Ja, ja, ich glaube schon«, sagte Smiley. Er erinnerte sich wieder an Delhi und an das stumme Gesicht, das ihn durch den Zigarettenrauch hindurch beobachtete.
»Immer mit der Ruhe, George. Okay? Sie müssen ab und zu das Gas wegnehmen.«
»Gute Nacht«, sagte Smiley.
Er fuhr mit der letzten Tram in die Stadtmitte. Als er zum Bellevue kam, schneite es heftig: große Flocken, die in dem gelben Licht wirbelten, die aber zu naß waren, um liegenzubleiben stellte seinen Wecker auf sieben.
22
Das Mädchen, das Alexandra genannt wurde, war seit genau einer Stunde wach, seit dem Weckruf, doch als sie die Glocke gehört hatte, zog sie sofort die Knie in ihrem Kalikonachthemd in die Höhe, kniff die Augen zu und schwor bei sich selbst, daß sie noch immer schlief, ein ruhebedürftiges Kind. Die Glocke rasselte wie Smileys Wecker um sieben Uhr los, doch schon um sechs hatte sie das Läuten aus dem Tal gehört, die katholischen Glocken, die protestantischen, dann die vom Rathaus, aber sie traute keiner von ihnen. Nicht diesem Gott, nicht jenem und am wenigsten den Bürgern mit ihren Fleischergesichtern, die beim jährlichen Fest mit herausgestreckten Bäuchen in Habachtstellung dastanden, während der Feuerwehrchor patriotische Lieder im Dialekt gröhlte.