Grigoriew setzte, ziemlich halbherzig und wie um der Form zu genügen, zu einem Ausbruchsversuch an. Er stand auf und machte einen Satz auf die Tür zu. Paul Skordeno sah für einen harten Mann ein bißchen phlegmatisch aus, aber er hatte den Flüchtling an der Krawatte, noch ehe Grigoriew einen zweiten Schritt tun konnte, und führte ihn behutsam, um keine Druckmale zu hinterlassen, zu seinem Stuhl zurück. Mit einem weiteren bühnenreifen Ächzen warf Grigoriew verzweifelt die Arme hoch. Das schwere Gesicht wurde dunkelrot und schmerzverzerrt, die breiten Schultern dehnten sich noch vor Erregung, und aus seinem Mund quoll ein trostloser Sturzbach von Selbstanklagen. Er sprach halb russisch, halb deutsch. Er verfluchte sich mit langsamer und heiliger Inbrunst, und danach verfluchte er seine Mutter, seine Frau, sein persönliches Pech und seine verhängnisvolle Schwäche als Vater. Er hätte in Moskau bleiben sollen, im Wirtschaftsministerium. Er hätte sich niemals von der Alma Mater fortlocken lassen sollen, nur weil sein törichtes Weib nach ausländischen Kleidern und Musik und Privilegien gierte. Er hätte sich längst von ihr scheiden lassen sollen, aber er könnte die Trennung von den Kindern nicht ertragen, ein Narr und ein Clown, der er sei. Er selber sollte in der geschlossenen Anstalt sitzen, nicht das Mädchen. Als er damals nach Moskau zitiert wurde, hätte er nein sagen, sich dem Druck widersetzen und, die ganze Sache nach seiner Rückkehr dem Botschafter melden sollen.
»Oh, Grigoriew!« rief er aus. »Oh, Grigoriew! Du bist so schwach, so schwach!«
Als nächstes ließ er eine Tirade gegen die Konspiration vom Stapel. Die Konspiration sei sein Fluch, mehrmals in seiner Karriere sei er gezwungen gewesen, mit den verhaßten »Nachbarn« bei irgendeinem blödsinnigen Unternehmen zu kollaborieren, jedesmal habe es mit einer Katastrophe geendet. Geheimdienstleute seien Verbrecher, Scharlatane und Narren, eine Clique von Ungeheuern. Warum waren die Russen so sehr in sie verliebt? Oh, das fatale Unvermögen zur Heuchelei in der russischen Seele!
»Die Konspiration hat den Glauben ersetzt!« jammerte Grigoriew den Versammelten auf Deutsch vor. »Sie ist unsere Ersatzreligion! Und ihre Agenten sind unsere Jesuiten, diese Schweine, sie machen alles kaputt!«
Er ballte jetzt die Fäuste und rammte sie sich in die Wangen, malträtierte sich in Gewissensbissen, bis Smiley ihn mit einem Wedeln des Notizbuches auf seinen Knien streng wieder zur Sache brachte: »Betreffs Madame Grigoriewa und Ihrer Kinder, Herr Botschaftsrat«, sagte er. »Es ist wirklich wichtig, daß wir wissen, um welche Zeit sie daheim zurückerwartet werden.«
Bei jedem erfolgreichen Verhör - so
pflegt Toby Esterhase an dieser Stelle seiner Schilderung
Smiley sah auf seine Uhr. Zu Tobys geheimem Entzücken tat Grigoriew es ihm nach.
»Aber sie könnte sich verspäten«, wandte Smiley ein.
»Sie verspätet sich nie«, gab Grigoriew finster zurück.
»Dann darf ich Sie bitten, mit der
Schilderung Ihrer Beziehung zu dem Mädchen Ostrakowa zu beginnen«, fuhr Smiley
sofort sein schweres Geschütz auf - sagt Toby - und ließ die Aufforderung
dennoch so klingen, als sei sie die natürliche Fortsetzung der Frage nach
Madame Grigoriewas Pünktlichkeit. Dann zückte er die Feder, und zwar so, sagt
Toby, daß ein Mann wie Grigoriew einfach gar nicht anders konnte, als ihm etwas
zu schreiben zu liefern. Trotz alledem war Grigoriews Widerstandskraft noch
nicht völlig verpufft. Seine Selbstachtung erforderte zumindest noch eine
letzte Kundgebung. Also wandte er sich mit ausgestreckten Händen an Toby:
Aber seine Proteste verloren rasch an Dampf und auch an Logik. Grigoriew wußte das genauso gut wie alle anderen.
»Alexandra Borisowna Ostrakowa«, deklamierte Smiley, während er mit dem breiten Ende seiner Krawatte die Brille polierte:
»Eine junge Russin, aber mit französischem Paß.« Er setzte die Brille wieder auf. »So, wie Sie, Herr Botschafter, Russe sind, aber einen Schweizer Paß haben. Unter falschem Namen. Also, wie sind Sie mit ihr in Verbindung gekommen, bitte?«