Nun mußte man Grigoriew nur noch die Telefonnummern geben, bei denen er sich gegebenenfalls melden sollte, und ihm erklären, wie Anrufe zwischen öffentlichen Fernsprechzellen zu tätigen sind; und wider alle Gesetze des Metiers erlaubte Smiley ihm, sich alles aufzuschreiben, denn er wußte, daß Grigoriew die Nummern nicht im Gedächtnis behalten könnte. Als auch das erledigt war, verabschiedete Grigoriew sich in dumpfer Niedergeschlagenheit. Toby fuhr ihn zu einer Stelle, wo er unauffällig abgesetzt werden konnte, und kehrte dann zu einem kurzen Lebewohl in die Wohnung zurück.
Smiley saß noch immer in seinem Sessel und hielt die Hände im Schoß gefaltet. Die übrigen waren unter Millie McCraigs Oberbefehl emsig damit beschäftigt, die Spuren ihrer Anwesenheit zu tilgen, sie putzten und polierten, leerten Aschenbecher und Papierkörbe. Toby sagte, außer Smiley und ihm werde alles heute die Stadt verlassen, auch das Observierungsteam. Nicht heute abend, nicht morgen. Jetzt. Sie säßen auf einer Super-Zeitbombe, sagte er: Schon in diesem Augenblick könne Grigoriew, wenn sein Bekennerdrang anhalte, die ganze Episode seinem gräßlichen Eheweib beichten. Wenn er Eudokia alles über Karla berichtet hatte, wer könne dann sagen, daß er nicht auch der Grigoriewa oder etwa Klein-Natascha sein heutiges Schwätzchen mit George schildern werde? Niemand solle sich abgeschoben, niemand solle sich ausgeschlossen fühlen, sagte Toby. Sie hätten großartige Arbeit geleistet, und sie würden sich bald wieder treffen, um ihr Werk zu krönen. Man schüttelte sich die Hände, vergoß sogar ein paar Tränen, aber die Aussicht auf den letzten Akt versüßte allen den Abschied.
Und Smiley, der so still, so regungslos inmitten des allgemeinen Aufbruchs saß, was empfand Smiley? Äußerlich betrachtet konnte er einen stolzen Erfolg verzeichnen. Alles, was er sich vorgenommen hatte, war ihm gelungen, auch wenn er dabei zu Karlas Techniken hatte greifen müssen. Er hatte es ganz allein geschafft; und heute hatte er, wie die Aufzeichnungen zeigen würden, innerhalb weniger Stunden Karlas so sorgfältig ausgewählten Agenten geknackt und umgedreht. Allein gelassen, ja, sogar behindert von denen, die seine Dienste erneut gefordert hatten, hatte er sich durchgekämpft bis zu dem Punkt, wo er ehrlich sagen konnte, daß das letzte entscheidende Schloß gesprengt sei. Er war ein betagter Mann, und doch hatte er nie bessere Arbeit geleistet; zum erstenmal in seiner beruflichen Laufbahn lag er in Führung vor seinem alten Gegenspieler.
Andererseits hatte dieser Gegenspieler jetzt ein menschliches Gesicht von bestürzender Klarheit angenommen. Er war keine reißende Bestie, die Smiley mit solcher Meisterschaft jagte, auch kein hemmungsloser Fanatiker, kein seelenloser Automat. Er war ein Mensch; und einer, dessen Sturz, sobald Smiley sich entschließen würde, ihn herbeizuführen, letztlich keine sträflichere Ursache hätte als ein Übermaß an Liebe, eine Schwäche, die Smiley aus den Verstrickungen seines eigenen Lebens in hohem Maß vertraut war.
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Laut Circus-Überlieferung ist die Zeit, die man bei einer Geheimaktion mit Warten verbringt, länger als die Ewigkeit, und George Smiley wie auch Toby Esterhase hatten, jeder auf seine ganz spezielle Art, den Eindruck, daß die Zeit zwischen Samstagabend und Freitag es durchaus mit der Endlosigkeit des Jenseits aufnehmen konnte.