»Klar«, sagte Toby. »Klar, George.« Und damit hatte es sich.
Wo weilte George in seinen Gedanken? fragte sich Toby, während er Smiley wieder einmal in der Menge verschwinden sah. Karlas Instruktionen an Grigoriew schienen Smiley aus dem Häuschen gebracht zu haben. »Ich war eingeklemmt zwischen einem komplett Schwachsinnigen und einem total Depressiven«, lautet Tobys Urteil über diese aufreibenden Tage.
Während Toby wenigstens über die Flausen seines Herrn und seines Agenten stöhnen konnte, hatte Smiley nichts Gleichwertiges zum Zeitvertreib, und dieser Mangel schien ihm zu schaffen zu machen. Am Donnerstag fuhr er mit der Bahn nach Zürich und aß in der Kronenhalle mit Peter Guillam zu Mittag, der auf Saul Enderbys Order über London angeflogen war. Ihre Unterhaltung war reserviert, und das nicht nur aus Sicherheitsgründen. Guillam hatte, wie er sagte, bei seinem Londoner Aufenthalt aus eigenem Antrieb Ann aufgesucht und sei nun gespannt zu erfahren, ob er ihr irgendeine Botschaft übermitteln könne? Smiley sagte eisig, daß es nichts zu übermitteln gebe, und ließ Guillam etwas zuteil werden, was, soweit der sich zurückerinnern konnte, einem Anschnauzer am nächsten kam. Bei anderer Gelegenheit, gab er zu verstehen, würde Guillam vielleicht so freundlich sein, seine verdammten Finger von Smileys Privatangelegenheiten zu lassen. Guillam schaltete hastig aufs Geschäftliche um. Apropos Grigoriew, sagte er. Saul Enderby trage sich mit der Idee, Grigoriew, so wie er war, an die Vettern zu verkaufen, statt ihn in Sarratt zu bearbeiten. Was meine George dazu? Saul habe so das Gefühl, der Glanz eines höherrangigen russischen Überläufers würde den Vettern in Washington einen dringend benötigten Auftrieb geben, selbst wenn er nichts zu erzählen hätte, während Grigoriew in London sozusagen den zu erwartenden reinen Wein nur verwässern würde. Was George nun davon halte?
»Genau«, sagte Smiley.
»Saul hat sich auch gefragt, ob diese Freitagsache wirklich so dringend notwendig war«, sagte Guillam mit offensichtlicher Überwindung.
Smiley hob ein Tischmesser auf und starrte lang auf die Klinge.
»Sie ist ihm seine Karriere wert«, sagte er schließlich mit aufreizender Hartnäckigkeit. »Er stiehlt für sie, er lügt für sie, er riskiert seinen Hals für sie. Er muß unbedingt wissen, ob sie sich die Fingernägel putzt und das Haar bürstet. Meinen Sie nicht, daß wir verpflichtet sind, sie uns anzuschauen?«
Verpflichtet wem gegenüber? fragte sich Guillam nervös, als er zur Berichterstattung nach London zurückflog. Hatte Smiley gemeint, er sei sich selbst gegenüber dazu verpflichtet? Oder meinte er Karla gegenüber? Aber er war zu vorsichtig, um diese Theorien vor Saul Enderby auszubreiten.
Aus der Ferne gesehen hätte es ein Schloß sein können oder eines dieser Gehöfte, die im Schweizer Weinland auf den Hügelkuppen kauern, mit Türmchen und Wassergräben, über die überdachte Brücken zu Innenhöfen führen. Wenn man näher kam, nahm es prosaischere Züge an, mit einer Müllverbrennungsanlage, einem Obstgarten und modernen Anbauten, deren Fenster ziemlich klein waren. Am Dorfrand gab ein Schild die Richtung an, pries die ruhige Lage, den Komfort und die Tüchtigkeit des Personals. Der Orden wurde als >interkonfessionell christlich-theosophisch< bezeichnet, und ausländische Patienten seien eine Spezialität des Hauses. Felder und Dächer waren mit altem, schwerem Schnee bedeckt, doch die Straße, auf der Smiley fuhr, war geräumt. Der Tag war makellos weiß, Himmel und Schnee waren zu einer einzigen, unvermessenen Leere verschmolzen. Vom Haus am Eingangstor rief ein finsterer Pförtner telefonisch nach oben, erhielt von irgend jemand die Erlaubnis und winkte Smiley weiter. Ein Parkplatz war >Für Ärzte< und einer >Für Besucher, und Smiley stellte seinen Wagen auf dem zweiten ab. Als er auf die Klingel drückte, öffnete ihm eine einfältig aussehende, grau gekleidete Frau, die errötete, bevor Smiley überhaupt den Mund aufgemacht hatte. Er hörte Krematoriumsmusik, Geschirrklappern aus der Küche und menschliche Stimmen, alles durcheinander. Es war ein Haus mit blanken Fußböden und vorhanglosen Fenstern.
»Mutter Felicitas erwartet Sie«, flüsterte Schwester Béatitude scheu.
Ein Schrei würde im ganzen Haus widerhallen, dachte Smiley. Er bemerkte Topfpflanzen, die außer Reichweite standen. Seine Begleiterin schlug kräftig an eine Tür mit der Aufschrift >Büro< und stieß sie dann auf. Die Oberin Felicitas war eine große, temperamentvoll wirkende Frau, mit einem Blick von verwirrender Weltlichkeit. Smiley saß ihr gegenüber. Auf ihrem ausladenden Busen ruhte ein reich geschmücktes Kreuz, über das sie beim Sprechen mit ihren breiten Händen strich. Ihr Deutsch war langsam und königlich.