Stapes merkte es. »Caudicus«, sagte er mit einer abschätzigen Grimasse. »Dagon kehrte nur zwei Tage nach Eurer Abreise mit ihm zurück. Er hatte sich keine zehn Meilen nördlich der Stadt versteckt.«
»So nahe?«, rief ich überrascht.
Stapes nickte düster. »Er hatte sich in einem Bauernhaus verkrochen wie ein Dachs in seinem Bau. Er tötete dabei vier Leibwächter des Maer, und es kostete Dagon ein Auge. Man konnte ihn nur fassen, indem man das ganze Haus anzündete.«
»Und dann?«, fragte ich. »Er bekam bestimmt keinen Prozess.«
»Die Angelegenheit wurde erledigt«, wiederholte Stapes. »Auf angemessene Weise.« Das Letzte sagte er in einem sehr bestimmten, endgültigen Ton. Aus seinen sonst so freundlichen Augen sprühte Hass. In diesem Augenblick sah der rundgesichtige, kleine Mann überhaupt nicht mehr wie ein Krämer aus.
Ich hörte Alveron wieder seelenruhig sagen: »Schneidet ihm die Daumen ab.« So wie ich seinen raschen, heftigen Zorn kannte, bezweifelte ich, dass ich Caudicus je wieder sehen würde.
»Konnte der Maer ein Motiv entdecken?« Den Rest ließ ich ungesagt, obwohl ich leise sprach. Ich wusste, dass Stapes es nicht billigen würde, wenn ich offen von Vergiftung sprach.
»Es steht mir nicht an, das zu sagen«, antwortete Stapes vorsichtig. Er klang ein wenig gekränkt, als hätte ich wissen müssen, dass ich ihm eine solche Frage nicht stellen durfte.
Ich ließ das Thema fallen, da ich wusste, dass ich aus Stapes nichts weiter herausbekommen würde. »Ihr würdet mir einen Gefallen tun, wenn Ihr dem Maer etwas bringen könntet«, sagte ich und ging zu meinem abgenutzten Reisesack. Ich durchwühlte ihn, bis ich fast ganz unten die Kassette des Maer fand.
Ich hielt sie Stapes hin. »Ich weiß nicht, was darin ist«, sagte ich. »Aber sie trägt sein Wappen auf dem Deckel. Und sie ist schwer. Womöglich enthält sie einen Teil der gestohlenen Steuergelder, ich hoffe es zumindest.« Ich lachte. »Sagt ihm, es sei ein Hochzeitsgeschenk.«
Stapes nahm die Kassette lächelnd. »Er wird sich gewiss sehr darüber freuen.«
Drei weitere Diener erschienen, aber nur zwei davon eilten mit dampfenden Eimern an mir vorbei. Der dritte trat zu Stapes und überreichte ihm eine Nachricht. Aus dem anderen Zimmer hörte ich wieder das Wasser rauschen. Dann gingen die drei Diener, nicht ohne mir zuvor verstohlene Blicke zugeworfen zu haben.
Stapes überflog die Nachricht und hob den Kopf. »Der Maer hofft auf Euren Besuch zur fünften Stunde im Garten«, sagte er.
»Garten« bedeutete höfliche Unterhaltung. Hätte der Maer etwas Ernstes besprechen wollen, hätte er mich in seine Gemächer bestellt oder mich durch den Geheimgang, der seine Räume mit meinen verband, selbst aufgesucht.
Ich sah auf die Uhr an der Wand. Es handelte sich nicht um eine Sympathieuhr, wie ich sie von der Universität kannte, sondern um eine Harmonieuhr mit einem schwingenden Pendel und allem Drumherum. Trotz der schön gearbeiteten Mechanik ging sie freilich nicht annähernd so genau. Die Zeiger standen auf Viertel vor fünf.
»Geht diese Uhr vor, Stapes?«, fragte ich hoffnungsvoll. Eine Viertelstunde reichte kaum, meine Straßenkleider auszuziehen und ein für einen Besuch beim Maer angemessenes Gewand anzulegen. Angesichts der vielen Schichten Dreck und Schweiß, die mich bedeckten, wäre es auch in etwa so unsinnig gewesen, wie einen dampfenden Kuhfladen mit einem Seidenband zu umwickeln.
Stapes blickte über meine Schulter und anschließend auf eine kleine mechanische Uhr, die er in seiner Tasche aufbewahrte. »Im Gegenteil, sie scheint etwa fünf Minuten nachzugehen.«
Ich rieb mir das Gesicht und überlegte. Einerseits war ich von der Reise des Tages noch mitgenommen, aber das war nicht alles. Ich starrte vor Schmutz. Zuerst war ich lange in der sommerlichen Hitze marschiert, dann tagelang in einem stickig heißen Wagen eingesperrt gewesen. Der Maer urteilte nicht unbedingt nach dem Aussehen, legte aber Wert auf eine angemessene Erscheinung. Ich würde keinen guten Eindruck hinterlassen, wenn ich stinkend und schmutzig bei ihm auftauchte.
Unwillkürlich erschien wieder der eiserne Käfig vor meinem geistigen Auge und ich beschloss, dass ich keinen schlechten Eindruck riskieren durfte, nicht bei den Neuigkeiten, die ich mitbrachte. »Ich werde noch mindestens eine Stunde brauchen, Stapes. Wenn es dem Maer recht ist, könnte ich ihn um die sechste Stunde aufsuchen.«
Stapes’ Gesicht nahm einen empfindlichen Ausdruck an. Was er damit sagen wollte, war klar. Man verschob ein Gespräch mit dem Maer nicht. Wenn der Maer ruft, kommt man, so einfach ist das.
»Stapes«, sagte ich, so freundlich ich konnte. »Seht mich an, riecht an mir. Ich bin in der vergangenen Spanne dreihundert Meilen gereist. Ich kann nicht voller Straßenstaub und stinkend wie ein Barbar im Garten spazieren gehen.«
Stapes presste missbilligend die Lippen zusammen. »Dann sage ich ihm, Ihr seid anderweitig beschäftigt.«
Weitere dampfende Eimer trafen ein. »Sagt ihm die Wahrheit, Stapes.« Ich begann mein Hemd aufzuknöpfen. »Er versteht mich bestimmt.«