Читаем 0196951001361827419 adrian lara - midnight breed 01 полностью

Gabrielle hatte sich immer irgendwie als Außenseiterin gefühlt, wie eine stumme Beobachterin, schon seit ihrer Kindheit. Sie führte es darauf zurück, dass sie keine Eltern hatte – überhaupt keine Familie, nur das Paar, das sie adoptiert hatte, als sie ein zwölfjähriges Mädchen voller Probleme gewesen war, das von einer Pflegefamilie zur nächsten weitergereicht worden war. Die Maxwells, ein Paar aus der gehobenen Mittelschicht ohne eigene Kinder, hatten sich ihrer freundlicherweise erbarmt, aber selbst ihre Akzeptanz war voller Distanz gewesen. So war Gabrielle auf Internate, Sommerlager und schließlich eine Universität in einem anderen Bundesstaat geschickt worden. Ihre Eltern, wenn man sie so nennen konnte, waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als sie weit entfernt auf dem College gewesen war.

Gabrielle war nicht zur Beerdigung gegangen, aber die erste ernsthafte Fotografie, die sie gemacht hatte, waren zwei im Schatten eines Ahorns liegende Grabsteine auf dem Friedhof Mount Auburn gewesen. Seitdem hatte sie regelmäßig fotografiert.

Sie hatte nie zu den Leuten gehört, die um die Vergangenheit trauerten. Gabrielle schaltete das Dunkelkammerlicht aus und machte sich wieder auf den Weg nach oben, um sich um das Abendessen zu kümmern. Sie stand noch keine zwei Minuten in der Küche, als es an der Tür klingelte.

Jamie war großzügigerweise die vergangenen zwei Nächte bei ihr geblieben, nur um sicherzustellen, dass es Gabrielle gut ging. Er machte sich Sorgen um sie, war fürsorglich wie ein großer Bruder, den sie niemals gehabt hatte. Als er am Morgen gegangen war, hatte er ihr angeboten, später wiederzukommen, aber Gabrielle hatte darauf bestanden, dass sie auch alleine zurechtkäme. Tatsächlich brauchte sie etwas Zeit für sich, und als die Türglocke erneut klingelte, verspürte sie einen leichten Anflug von Ärger, dass sie auch heute Abend nicht allein sein durfte.

„Ich komme gleich“, rief sie aus dem Vorraum der Wohnung.

Wie immer streckte sie sich, um durch den Spion zu sehen, aber statt Jamies blondem Haarschopf erblickte Gabrielle den dunkelhaarigen Kopf und die markanten Gesichtszüge eines unbekannten Mannes, der vor ihrer Tür wartete. Eine nachgebaute Gaslampe stand auf dem Bürgersteig direkt vor ihrer Vordertreppe. Der weiche gelbe Lichtschein legte sich um den Mann wie ein goldener Umhang. Es lag etwas Bedrohliches, aber dennoch Fesselndes in seinen blassgrauen Augen, die in den engen Glaszylinder hineinstarrten, so als könne er auch sie auf der anderen Seite sehen.

Sie öffnete die Tür, hielt es aber für das Beste, die Sperrkette nicht zu entfernen. Der Mann trat vor den offenen Türspalt und blickte auf die Kette, die zwischen ihnen straff gespannt war. Als sein Blick wieder auf den von Gabrielle traf, schenkte er ihr ein leichtes Lächeln, als fände er es amüsant, dass sie glaubte, ihm so leicht den Einlass verwehren zu können, wenn er wirklich hineinwollte.

„Miss Maxwell?“ Seine Stimme streichelte ihre Sinne wie schwerer, dunkler Samt.

„Ja?“

„Mein Name ist Lucan Thorne.“ Die Worte rollten ihm in einem weichen, getragenen Tonfall über die Lippen, der ihr sofort einen Teil ihrer Angst nahm. Als Gabrielle schwieg, sprach er weiter. „Ich habe gehört, dass Sie vor einigen Nächten einige … Schwierigkeiten auf der Polizeiwache hatten. Ich komme vorbei, um sicherzugehen, dass es Ihnen gut geht.“

Sie nickte.

Offensichtlich nahm die Polizei sie doch wenigstens ein bisschen ernst. Da es nun schon einige Tage her war, in denen sie nichts von den Beamten gehört hatte, hatte Gabrielle nicht erwartet, noch einmal einen Polizisten bei sich zu sehen, selbst wenn man versprochen hatte, jemanden bei ihr vorbeizuschicken. Auch wenn sie sich nicht sicher sein konnte, dass dieser Kerl mit seinem elegant frisierten schwarzen Haar und seinen scharf geschnittenen Gesichtszügen wirklich Polizist war.

Er sah ganz schön finster aus, dachte sie, aber abgesehen von seinem düsteren, gefährlich guten Aussehen schien er es nicht darauf anzulegen, ihr irgendeinen Schaden zuzufügen. Trotzdem hielt Gabrielle es nach allem, was sie erlebt hatte, für klug, lieber etwas vorsichtiger zu sein.

„Haben Sie einen Ausweis?“

„Natürlich.“

Mit bedächtigen, fast sinnlichen Bewegungen öffnete er eine dünne Lederbrieftasche und hielt sie vor dem schmalen Türschlitz in die Höhe. Es war fast dunkel draußen. Vermutlich dauerte es deswegen eine Weile, bis sich Gabrielles Augen auf die glänzende Polizeimarke und den Ausweis mit Foto, auf dem sein Name stand, eingestellt hatten.

„Okay. Kommen Sie herein, Detective.“

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