Tess wirbelte herum und lächelte ihn überrascht an.
„Ben, hi! Was machst du denn hier?“
Sie kannte ihn. Dante zog sich sofort zurück und verschmolz mit dem dichten Strom der Fußgänger, der sich an den Geschäften und Restaurants vorbeischob.
„Hast du meine Nachricht nicht bekommen? Ich hatte hier oben zu tun und dachte, vielleicht könnten wir ja was essen gehen oder so.“
Dante sah, wie der Mann auf sie zuging, sie umarmte, sich dann hinunterbeugte und sie liebevoll auf die Wange küsste. Es war ganz offensichtlich, der Kerl war hin und weg von ihr. Mehr noch, Dante konnte es in seiner scharfen Ausdünstung riechen. Der Typ war besitzergreifend. Und wie er Tess küsste – als markierte er sein Revier.
„Wir gehen morgen Abend doch auf die Kunstausstellung?“, fragte der Mann.
„Ja, sicher“, nickte Tess. Als er sich bückte, um ihr die Last abzunehmen, überließ sie ihm ihre Einkaufstasche. „Was soll ich anziehen?“
„Was immer du willst. Ich weiß, du wirst auf jeden Fall umwerfend aussehen, Doc.“
Jähe Eifersucht schoss ihm in den Magen – ein Gefühl, auf das er eigentlich gar kein Recht hatte.
Aber sein Blut war anderer Meinung. Seine Venen waren lebendig und brannten. Der Teil von ihm, der nichts Menschliches an sich hatte, drängte ihn, durch die Menge zu stürmen und der jungen Frau zu sagen, dass sie
Aber es gab auch noch einen anderen Teil in ihm, der vernünftiger war. Er warf seinem inneren Untier ein Halsband um und riss es zurück.
Unterwarf es.
Er wollte keine Stammesgefährtin. Er hatte nie eine gewollt und würde auch nie eine wollen. Dante sah Tess mit ihrem Freund davongehen, ihr zwangloses Geplauder verlor sich in den Gesprächen der anderen und im allgegenwärtigen Summen des Straßenlärms. Eine Minute lang blieb er zurück, das Blut hämmerte ihm in den Schläfen und auch in anderen, tiefer gelegenen Regionen seines Körpers.
Er drehte sich um, verschwand in den Schatten und kehrte zu dem Gebäude zurück, vor dem er Harvard als Wachposten zurückgelassen hatte. Er hoffte inständig, dass an Gideons Tipp über Rogue-Aktivitäten wirklich etwas dran war – und zwar je eher desto lieber. Denn jetzt brannte er vor Lust auf einen ordentlichen, blutigen Kampf.
Der Einsatz in North End war eine Enttäuschung. In dem alten, leer stehenden Gebäude hatte tatsächlich ein Rave stattgefunden, aber die Feiernden waren nur Menschen gewesen. Kein einziger Rogue weit und breit, auch keine Spur von Vampiren aus den Dunklen Häfen, ganz zu schweigen von Jugendlichen auf Abwegen im Crimson-Rausch. Vielleicht hätte er erleichtert sein sollen, dass es in der Stadt endlich mal ein paar Stunden lang friedlich geblieben war, aber nach einer ganzen langen Nacht auf Streife, die keine Ergebnisse gebracht hatte, war Dante alles andere als ruhig. Er war frustriert, genervt und brauchte jetzt dringend etwas Entspannung.
Die gab es zuhauf. An der Oberfläche kannte er Dutzende von Orten, wo sich Frauen mit saftigen Venen und warmen, willigen Schenkeln finden ließen. Als er Chase bei seiner Wohnung im Dunklen Hafen abgesetzt hatte, fuhr Dante zu einem Nachtclub, der jetzt in den frühen Morgenstunden noch geöffnet hatte, und parkte den Porsche dort am Straßenrand. Von seinem Handy rief er die Zentrale im Hauptquartier an, um Gideon ein schnelles Update der ereignislosen Nacht zu geben.
„Sieh’s doch mal so, D. Du hast sieben Stunden mit unserem netten Agenten überstanden, ohne ihn umzubringen“, bemerkte Gideon trocken. „Das an sich ist schon eine beachtliche Leistung. Um nicht zu sagen: ein Meilenstein. Wir schließen hier schon Wetten ab, wie lange der Typ es macht. Ich gebe ihm allerhöchstens neunzehn Stunden.“
„Ja?“, kicherte Dante. „Ich keine siebeneinhalb.“
„So schlimm?“
„Na ja. Ich schätze, es könnte schlimmer sein. Zumindest kann Harvard Befehle entgegennehmen, auch wenn er so aussieht, als wäre lieber er der Boss.“
Dante warf einen Blick in den Rückspiegel, wo ihn ein blasser Streifen Bauchfleisch und halb freiliegende Hüften in einem engen, ledernen Minirock ablenkten, die eben um das linke Rücklicht seines Wagens herum auf ihn zukamen. Wahrscheinlich eine Professionelle, so wie sie mit einstudiert schwingendem Gang und hohen Plateausohlen auf sein geschlossenes Fenster zusteuerte. Seine Zweifel zerstoben, als sie sich herabbeugte und mit dem harten Lächeln der Straße und mit Pupillen wie Stecknadelköpfen – Heroin vermutlich – ihre fleischigen Brüste vor ihm entblößte.
„Suchst du Gesellschaft, Süßer?“ Ihre Lippen formten die Worte vor der dunklen Scheibe, sie konnte nicht sehen, wem sie sich da anbot. Aber bei der Qualität seines Wagens war ihr das wohl egal.