Wie vorgesehen, flog die Rakete am 28. Dezember pünktlich um zwei Uhr am Mars vorüber, berührte leicht seine Atmosphäre und zog, nachdem sie einen Halbkreis beschrieben hatte, abermals an dem Planeten vorbei, diesmal von der andern Seite. So drang Hapgood, der in einer weit ausgezogenen Spirale einen Anflug nach dem andern unternahm, von Mal zu Mal immer tiefer in die Atmosphäre vor und minderte durch die dabei entstehende Reibung die kosmische Geschwindigkeit seines Raumes herab. Bei ihren letzten Runden kam die Rakete nicht mehr aus der Gashülle des Mars heraus. Als die Geschwindigkeit auf tausend Kilometer in der Minute gefallen war, entschloß sich Hapgood, den Flug abzubrechen. Der erhitzte Schiffskörper hatte die Temperatur im Innenraum auf fünfzig Grad erhöht, und die beiden Raumfahrer fühlten, daß sie eine solche Hitze nicht länger ertragen konnten. Aus Furcht, die Besinnung zu verlieren, lenkte Hapgood die Rakete auf die Planetenoberfläche, bis zu der es noch gegen fünftausend Meter waren.
„Den Fallschirm!“ rief er Bason zu. Der entscheidende Moment war gekommen. Würde der Fallschirm halten?
Hapgood verspürte einen starken Ruck. Über der Rakete spannte sich ein riesiges Seidendach aus. Die Geschwindigkeit nahm sofort ab. Der Fallschirm hatte standgehalten.
Schweißüberströmt, die Zähne schmerzhaft zusammengebissen, hielt Hapgood das Raumschiff in waagerechter Lage. Es bedurfte dazu übermenschlicher Anstrengung und größter Geschwindigkeit.
Als sie keine fünfhundert Meter mehr über dem Boden waren, wurde es plötzlich dunkel. Die Sonne verschwand am Horizont; an der Schnelligkeit, mit der die Nacht hereinbrach, merkte Hapgood, daß sie sich in den „Tropen“ des Mars befanden.
Sie mußten also blind landen, wobei sie Gefahr liefen, in einen der Seen zu geraten, von deren Tiefe Hapgood keine Vorstellung hatte. Aber ihm blieb keine andere Wahl. Die Rakete sank rasch tiefer und tiefer … Ein heftiger Stoß, das Klirren zerbrochenen Geräts am Armaturenbrett, ein Schreckensschrei Basons, und das Raumschiff hatte aufgehört zu fallen. Sie waren auf dem Mars.
Hapgood sah instinktiv nach der Uhr. Dreizehn Uhr vierunddreißig. Er wandte sich an Bason. „Notieren Sie!“ sagte er mit vor Erregung heiserer Stimme. „Am 28. Dezember 19.. um dreizehn Uhr vierunddreißig Washingtoner Zeit[2]
erreichte das von Charles Hapgood konstruierte und gesteuerte amerikanische Raumschiff den Planeten Mars.“„Mit der Besatzung, bestehend aus genanntem Charles Hapgood und dem Korrespondenten der Zeitung ›New York Times‹, Ralph Bason“, ergänzte der Journalist. „Aber das ist erst ein halber Sieg. Wollen wir uns den ganzen sichern, müssen wir aus der Rakete aussteigen und den Fuß auf den Boden des Planeten setzen. Das russische Raumschiff kann jeden Augenblick eintreffen.“
„Wenn es nicht schon da ist“, murmelte Hapgood.
„Schnell, Charles!“ In fieberhafter Eile holte der Journalist den Fotoapparat hervor.
Hapgood wußte, was Bason wollte. Ohne zu säumen, nahmen sie die Uhr vom Armaturenbrett herunter, die auf der Erde von einer Kommission mit einem Siegel versehen worden war. Das Zifferblatt, das nicht nur die Zeit, sondern auch das Datum anzeigte, mußte außerhalb des Raumschiffes fotografiert werden. Damit sollten unwiderlegbar Tag und Stunde ihrer Ankunft auf dem Mars nachgewiesen werden. Der Fotoapparat war ebenfalls versiegelt. Mit Sauerstoffmasken, Uhr, Fotoapparat und einer starken Magnesiumlampe versehen, krochen beide in die enge Ausstiegkammer des Schiffes.
Als sich die Innentür hinter ihnen geschlossen hatte, sagte Hapgood: „Eigentlich ist es unklug, bei dieser Dunkelheit hinauszugehen und unbekannten Boden zu betreten.“
„Dann lassen Sie es eben bleiben!“ entgegnete Bason.
„Ich gehe allein. Ich habe keine Lust, mich wegen Ihrer Feigheit um alle Früchte des Fluges bringen zu lassen.“
Vom Ehrgeiz gepackt, vergaß er in diesem Augenblick völlig, daß sie nur wenig Aussichten hatten, zur Erde zurückzukehren. „Machen Sie auf!“ rief er gebieterisch, als er sah, daß Hapgood zögerte.
Die Schlösser schnappten. Kalte Luft strömte in die Kammer und kühlte ihre erhitzten Körper. Die Tür öffnete sich.
Das erste, was Hapgood ins Auge fiel, war das vertraute Sternbild des Großen Wagens dicht über dem Horizont. In der dünnen Atmosphäre des Mars leuchteten die Sterne viel heller als auf der Erde.
„Steigen Sie aus!“ sagte Bason. „Ich will Ihnen nicht das Recht streitig machen, den Planeten als erster zu betreten.“
Das Raumschiff war am Ufer eines kleinen Sees gelandet. Die Tür befand sich gut anderthalb Meter über dem Sandboden. Nur mit Mühe überwand Hapgood eine unerklärliche Angst und sprang hinunter. Dank der geringen Anziehungskraft des Mars setzte er so leicht auf, als wäre er von einem Stuhl gesprungen. Bason reichte ihm Uhr, Lampe und Apparat und folgte nach.
Einige Meter von ihnen entfernt ragte das Gestrüpp unbekannter Pflanzen empor. Im nächtlichen Dunkel, nur vom Licht der Sterne erhellt, schien es voller unheimlicher, ungelöster Rätsel.