Vor ein paar Jahren beschlossen James Heyman (Professor an der University of St. Thomas) und ich, die Auswirkungen von sozialen Normen und denen des Marktes zu untersuchen. Die Simulation des beschriebenen Thanksgiving-Essens wäre wunderbar gewesen, aber angesichts des Schadens, den wir den Beziehungen innerhalb der Probandenfamilie womöglich zugefügt hätten, entschieden wir uns für ein weniger krasses Szenario. Um ehrlich zu sein, fiel unsere Wahl auf eine der langweiligsten Aufgaben, die uns in den Sinn kamen (in der Soziologie ist es üblich, äußerst langweilige Aufgaben zu stellen).
Bei diesem Experiment wurde auf der linken Seite eines Computerbildschirms ein Kreis gezeigt, auf der rechten Seite ein Quadrat. Die Aufgabe bestand darin, mit Hilfe der Maus den Kreis auf das Quadrat zu ziehen. Sobald dies gelungen war, verschwand der Kreis, und ein neuer erschien auf der linken Bildschirmseite. Wir baten die Teilnehmer, so viele Kreise wie möglich hinüberzuziehen – und zwar innerhalb von fünf Minuten. Die dabei herauskommende Zahl war für uns das Maß ihrer Arbeitsleistung – beziehungsweise der Anstrengung, die sie für die Aufgabe aufbrachten.
Auf welche Weise sollte diese Versuchsanordnung Aufschluss geben über den sozialen und den Marktaustausch? Einige Probanden erhielten für die Teilnahme an dem kurzen Experiment fünf Dollar, die ihnen beim Betreten des Labors ausgehändigt wurden. Außerdem wurde ihnen mitgeteilt, der Computer werde sie nach fünf Minuten darauf aufmerksam machen, dass die Aufgabe erledigt sei, woraufhin sie das Labor verlassen sollten. Da wir sie für ihre Bemühungen bezahlten, erwarteten wir, dass sie in dieser Situation die Normen des Marktes anwenden und entsprechend handeln würden.
Die Teilnehmer der zweiten Gruppe erhielten dieselbe Aufgabe und dieselben Instruktionen, allerdings war die Belohnung weitaus geringer (50 Cent bei einem Experiment und 10 Cent bei einem zweiten). Auch hier rechneten wir damit, dass die Teilnehmer auf die Normen des Marktes zurückgriffen und sich entsprechend verhielten.
Schließlich gab es eine dritte Gruppe, der wir die Aufgabe als eine soziale darstellten. Den Teilnehmern wurde nichts Konkretes als Gegenleistung für ihre Bemühungen angeboten. Wir baten sie lediglich um einen Gefallen. Und wir erwarteten, dass diese Probanden soziale Normen auf die Situation anwenden und entsprechend handeln würden.
Wie viel Mühe gaben sich die verschiedenen Gruppen? In Übereinstimmung mit dem Ethos der Marktnormen zogen diejenigen, die fünf Dollar erhalten hatten, im Durchschnitt 159 Kreise auf die andere Seite, diejenigen, die 50 Cent bekommen hatten, im Schnitt 101 Kreise. Wie vorauszusehen, verstärkte mehr Geld die Motivation – die Probanden gaben sich mehr Mühe (um etwa 50 Prozent).
Und was war mit denjenigen, die kein Geld erhalten hatten? Gaben sich diese Teilnehmer weniger Mühe als diejenigen mit der niedrigen »Entlohnung«, oder wandten sie, weil sie kein Geld bekamen, soziale Normen auf die Situation an und gaben sich mehr Mühe? Das Ergebnis war, dass sie im Schnitt 168 Kreise auf die andere Seite zogen, also weitaus mehr als diejenigen, die 50 Cent erhalten hatten, und ein wenig mehr als diejenigen, denen fünf Dollar gezahlt worden war. Mit anderen Worten, unsere Probanden gaben sich bei Berücksichtigung sozialer Normen ohne Geldleistungen mehr Mühe als für den allmächtigen Dollar (okay, es waren nur 50 Cent).
Vielleicht hätten wir dies vorausahnen können. Denn es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass die Menschen für eine gute Sache mehr Mühe aufwenden als für Geld. So fragte zum Beispiel die AARP (American Association for Retired Persons – Amerikanische Rentnervereinigung) Anwälte, ob sie bereit wären, bedürftigen Rentnern ihre Dienste günstiger anzubieten, für etwa 30 Dollar die Stunde. Die Anwälte lehnten ab. Daraufhin hatte der Projektleiter von AARP eine geniale Idee: Er fragte die Anwälte, ob sie seinen Klienten ihre Dienste kostenlos zur Verfügung stellen würden. Die Anwälte erklärten sich mit überwältigender Mehrheit dazu bereit.
Was war hier los? Wieso waren null Dollar attraktiver als 30 Dollar? Solange ein Honorar im Spiel war, wandten die Anwälte Marktnormen an und empfanden das Angebot im Vergleich zu ihrem marktüblichen Honorar als unzureichend. Als hingegen von Geld nicht mehr die Rede war, zogen sie soziale Normen heran und waren bereit, ihre Zeit kostenlos zur Verfügung zu stellen. Aber warum akzeptierten sie nicht einfach die 30 Dollar und betrachteten sich als Ehrenamtliche, die 30 Dollar erhielten? Weil die sozialen Normen keine Rolle mehr spielen, sobald Marktnormen Eingang in unsere Überlegungen gefunden haben.