Placebos bringen auch die Anbieter in ein Dilemma. Ihre Position innerhalb des Marktes verlangt von ihnen, einen wahrnehmbaren Wert zu schaffen. Ein Produkt mit Aussagen zu bewerben, die über das objektiv Beweisbare hinausgehen, ist – je nachdem, wie überzogen die Behauptungen sind – eine großzügige Auslegung der Wahrheit oder glatte Lüge. Doch wir haben gesehen, dass sich die Wahrnehmung des Wertes bei Medikamenten, Softdrinks, Kosmetika aus der Apotheke oder Autos in konkreten Wert verwandeln kann. Wenn die Käufer mit einem solchen Produkt tatsächlich zufriedener sind, hat der Vermarkter dann etwas Schlimmeres gemacht, als mit dem Steak gleich auch den Grillduft zu verkaufen? Je mehr wir über Placebos und die unscharfe Grenze zwischen Erwartung und Realität nachdenken, desto schwieriger sind diese Fragen zu beantworten.
Als Wissenschaftler schätze ich Experimente, die unsere Überzeugungen und die Wirksamkeit verschiedener Behandlungsmethoden auf den Prüfstand stellen. Gleichzeitig ist mir auch bewusst, dass Experimente – insbesondere solche mit Placebomedikamenten – in ethischer Hinsicht viele wichtige Fragen aufwerfen. Die Ligatur der Brustwandarterie, über die ich am Anfang des Kapitels sprach, brachte tatsächlich ein ethisches Problem mit sich, und so erhob sich allgemeiner Protest gegen die Durchführung simulierter Operationen an Patienten.
Der Gedanke, das Wohlbefinden und vielleicht sogar das Leben einiger Menschen zu opfern, um daraus zu lernen, ob eine bestimmte Behandlungsmethode irgendwann in der Zukunft bei anderen Menschen angewandt werden sollte, ist in der Tat schwer zu schlucken. Die Vorstellung, dass ein krebskrankes Kind eine Placebotherapie bekommt, damit Jahre später andere Menschen vielleicht eine bessere Behandlung erfahren können, führt uns in einen sonderbaren und schwierigen Konflikt.
Andererseits sind aber auch die Kompromisse, die wir eingehen, indem wir
Ich lag bereits zwei lange Monate mit schweren Verbrennungen im Krankenhaus, als meine Physiotherapeutin mit aufregenden Neuigkeiten zu mir kam. Für Patienten wie mich gebe es eine Hightech-Kleidung, den sogenannten Jobst-Anzug, der wie eine zweite Haut sitze und dadurch Druck auf das bisschen eigene Haut ausübe, das mir geblieben war, so dass sie besser heilen könne. Er werde nur in einer Fabrik in Irland und in einer in Amerika hergestellt. Einen solchen, mir gewissermaßen auf den Leib geschneiderten Anzug sollte ich bekommen. Ich würde Hose, Hemd, Handschuhe und eine Gesichtsmaske tragen müssen, sagte sie, und diese würden, da sie hauteng anlägen, fortwährend auf meine Haut drücken und sie, wenn ich mich bewegte, leicht massieren, wodurch die Rötungen abklängen und überschüssiges Narbengewebe abgeflacht würde.
Ich war begeistert! Shula, die Physiotherapeutin, erzählte mir immer wieder, wie wunderbar der Jobst-Anzug sei. Es gebe ihn in verschiedenen Farben, und vor meinem geistigen Auge erschien sofort ein Bild, wie ich von Kopf bis Fuß in einem hautengen blauen Spiderman-Anzug stecke. Aber Shula klärte mich auf, dass es nur zwei Farben gab: braun für Menschen weißer Hautfarbe und schwarz für Dunkelhäutige. Da die Leute sofort die Polizei alarmierten, wenn eine Person mit einer Jobst-Gesichtsmaske eine Bank betrat, weil sie einen Bankräuber vermuteten, werde jeder Gesichtsmaske in der Fabrik ein Schild mit einer kurzen Erklärung beigelegt, das man auf den Brustbereich heftet.
Statt mich abzuschrecken, ließen mir diese neuen Informationen den Anzug noch sympathischer erscheinen. Ich musste lachen. Sicher würde es Spaß machen, durch die Straßen zu laufen und praktisch unsichtbar zu sein. Außer Mund und Augen würde niemand etwas von mir sehen. Vor allem würde niemand meine Narben sehen.