Aber die Wühler hatten eine Stadt, oder? Auch wenn sie unterirdisch lag, abgesehen von den Stellen, an denen die Eingänge zu ihren Tunnels nach oben in die Bäume gebohrt waren. Chveja stellte sich vor, wie sie geklettert sein mußten, als die Menschen von Harmonie eingetroffen waren und begonnen hatten, die Bäume zu fällen, um dort, wo sie gelandet waren, Felder anzulegen. Die Tunnels, die zu den gefällten Bäumen führten, mußten gefüllt werden, damit die Menschen, wenn sie in die hohlen Stämme schauten, nicht sahen, daß sich unter ihnen Tunnels öffneten. Und selbst nachdem die Wühler so viele Tunnels gefüllt hatten, verfügte ihre Stadt noch immer über ein gewaltiges Netzwerk miteinander verbundener Kammern.
Chveja wußte, daß dem so war. Sie konnte nun die Verbindungen zwischen vielen, vielleicht sogar den meisten der Wühler sehen, und sie wußte, daß es dort unten Hunderte von ihnen gab und ein ständiges Kommen und Gehen herrschte. Es war die einzige richtige Stadt, die sie je gesehen hatte; aber sie hatte sie ja noch gar nicht richtig gesehen und würde wahrscheinlich auch nie dazu kommen. Sie würde nie durch die Tunnels kriechen. Chveja
Und so mußte es auch in Basilika gewesen sein. Niemand konnte dermaßen viele Leute kennen, so daß man von Fremden umgeben gewesen sein mußte, wenn man die Straße entlang ging, von Leuten, die man nie zuvor gesehen hatte und die man nie wieder sehen würde, die von überall her kommen, die alles mögliche denken konnten, die schreckliche Dinge begehren mochten, die einen selbst oder die vernichten konnten, die man liebte und an denen einem lag, und man wußte nicht einmal etwas davon.
Wie haben sie es gemacht, die Leute, die dort gewohnt hatten? Wie konnten sie es ertragen, ein Leben unter völlig Fremden zu führen? Warum haben sie sich nicht einfach in ihre Häuser zurückgezogen, die Türen verriegelt und sich jammernd in eine Ecke gehockt?
Warum tue ich das nicht? fragte sich Chveja. Ich weiß, daß ich von Wühlern umgeben bin, die ich nicht kenne, deren Verhalten ich nicht vorhersagen kann, die die Macht haben, mich und alle zu vernichten, die ich liebe —, und warum gehe ich am Abend noch zu Bett und stehe am Morgen auf?
Jemand klatschte vor der Tür leise in die Hände.
Chveja stand auf und ging zur Tür. Es war Elemak.
»Ist Ojkib auf?« fragte er.
»Äh, nein«, sagte Chveja. »Aber es wird Zeit, daß er erwacht.«
»Ich bin auf«, sagte Ojkib schläfrig vom Bett aus. »Jedenfalls wach.«
»Komm rein«, sagte Chveja.
Elemak tat wie geheißen. Er blieb stehen, bis Ojkib sich im Bett aufsetzte und seinem ältesten Bruder bedeutete, er solle am Fuß des Bettes Platz nehmen. »Was gibt es?« fragte er.
»Volemak will, daß ich mit diesen Wühlern arbeite, die wir als Geiseln genommen haben«, sagte Elemak.
»Wenn du willst«, sagte Ojkib.
»Ich tue meine Pflicht«, sagte Elemak und lächelte grimmig. »Ich habe den Eid geleistet.«
»Na ja«, sagte Ojkib. »Dann sollen wir wohl beide seine Sprache lernen.«
»Du bist mir schon weit voraus«, sagte Elemak. »Ich möchte, daß du mir beibringst, was du über ihre Sprache weißt.«
»Es ist noch nicht viel. Nur ein paar Begriffe. Ich kenne die Struktur noch nicht.«
»Was immer du auch weißt, ich möchte es gern lernen. Ich hätte auch gern, daß Protschnu es lernt. Kannst du uns nicht Unterricht in der Wühlersprache geben?«
»Das ist eine gute Idee«, sagte Ojkib. »Ja, natürlich.«
Draußen lief jemand. Trommelnde Schritte. Protschnu stand auf der Schwelle. »Vater«, sagte er.
Elemak erhob sich.
»Auf dem Dach von Issibs Haus steht einer dieser Engel.«
»Wer hat Wache?« fragte Ojkib, stand auf und zog sich schnell an.
»Motja«, sagte Protschnu. »Er hat mich geschickt, dich zu holen.«
»Äh … na ja, die Erwachsenen zu holen.«
»Er hat nicht mich gemeint«, sagte Elemak.
Protschnu schaute trotzig drein. »Aber
»Hol Volemak«, sagte Elemak.