Die Stimme des weiblichen Alten erklang erneut. Poto sah sie an, und die anderen; auch pTo schaute sich um und stellte fest, daß vier andere das — ja, was? Das Nest? Den Tunnel? Um was auch immer es sich bei diesem Ort handeln mochte — betreten hatten. Er erkannte einen von ihnen — den Mann, den er in jener schicksalhaften Nacht gesehen hatte, als er auf dem Turm gelandet war. »Der da hat mich gesehen«, sagte pTo. »Der da hat gesehen, daß ich die Gräser gestohlen habe. Er muß Alarm geschlagen haben!«
»Aber er ist nicht der Wütende?« fragte pTo.
»Jetzt ist er nicht wütend«, sagte pTo. »Nicht wie der andere. Oh, hoffentlich sehe ich den wütenden Alten nie wieder!«
»Endlich«, sagte Ojkib. »So etwas wie ein Gebet. Die Hälfte von dem, was die Wühler sagen, ist zumindest zum Teil an ihre Götter gerichtet. Es wäre leichter für mich, wären die Engel auch so fromm.«
»Aber das hat er gesagt?« fragte Schedemei.
»Er will den Wütenden nie wiedersehen. Den wütenden Alten.« Er lachte. »Wir sind natürlich die Alten. Die Alten sind zurückgekehrt.«
»Darüber gibt es doch nichts zu lachen«, sagte Schedemei. »Das ist sehr wichtig. Luet oder Nafai, kann einer von euch Huschidh und Issib holen? Sie müssen dabei sein, müssen sie kennenlernen, wenn sie die Verbindungsleute zu den Engeln sein werden.«
»Ja, ich gehe schon«, sagte Nafai.
»Nein, Nafai, das ist dumm, ich werde gehen«, sagte Luet.
»Wir brauchen dich hier«, sagte Schedemei. »Für den Fall, daß du noch etwas verstehst.«
Nafai ging.
»Ihre Sprache ist ein Knallen und Singen, nicht wahr?« fragte Luet. »Wie Blasen in einem Bach. Wie …«
»Ja, Mutter?« sagte Chveja.
»Wie die Musik des Sees der Frauen, als ich am Rand eines wahren Traums darauf trieb.«
»Vielleicht war der Hüter der Erde imstande, dir ihre Lieder zu schicken«, sagte Chveja.
»Seid still«, sagte Schedemei. »Ich glaube, die beiden sind Zwillinge. Seht sie euch doch an, sie sind praktisch identisch.«
»Jeder nennt den anderen sein
»Meine Zwillinge würden füreinander vielleicht dasselbe empfinden«, sagte Luet, »könnten Babys in ihrem Alter ihre Gefühle ausdrücken.«
»Psst«, sagte Schedemei. »Hör zu, Ojkib. Paßt alle auf.«
Doch Chveja mußte noch eine letzte Bemerkung loswerden: »Ich habe bei den Menschen noch nie eine Liebe gesehen, die so stark ist wie die, die diese beiden verbindet.«
»Du bist zweifellos der dümmste aller Männer«, sagte Poto.
»Ich akzeptiere die Ehre«, sagte pTo. »Und du bist der treueste von allen. Möge irgendeine Frau jetzt die Stärke und Kraft in dir sehen und dich zu ihrem Gatten nehmen.«
»Der Verletzte betet dafür, daß irgendeine Frau Bewunderung empfinden wird, wie stark der Gesunde ist«, sagte Ojkib, »und sich mit ihm paart. Nein, sich mit ihm verbindet.«
»Ihn heiratet«, schlug Chveja vor.
»Tja, das könnte sein. Das Wort steht in engem Zusammenhang mit Verflechten und Verknoten.«
»Das mit dem Verflechten ist mir klar«, sagte Chveja. »Er meint eine Ehe. Der Verletzte ist verheiratet, der Gesunde aber nicht — weil der Verletzte eine starke Verbindung mit jemandem hat, der nicht hier ist, sondern oben in der Schlucht.«
»Haben sie Namen?« fragte Schedemei.
»Erwartest du etwa, daß ich diese Geräusche wiederholen kann?« fragte Ojkib.
»Eines Tages werden wir es müssen. Da kannst du es genausogut schon jetzt versuchen.«
»Der Name des Gesunden lautet Oh-Oh, mit schnellen, kleinen Konsonanten davor. To-To. Po-To.«
»Und der andere?«
Ojkib lachte frustriert. »Genauso. Derselbe Name.«
»Ander-Ich«, murmelte Schedemei.
»Nein, er ist anders. Der Kranke heißt Po-To, und der Gesunde Po-To.«
»Sei still«, sagte pTo. »Höre zu.«
»Worauf soll ich hören?«
»Auf die Alten. Sie haben gerade deinen Namen gesprochen.«
Sie lauschten.
»Poto«, sagte Ojkib. »Poto.« Dann murmelte er noch etwas, und dann sprach er wieder den Namen. »Poto. Poto.«
»Sie wollen etwas von dir«, sagte pTo.
Poto sprang augenblicklich zu Boden, aus pTos Blickfeld. Doch pTo hörte deutlich, wie er sagte: »Ich bin Poto, Alter, falls du mich wirklich sprechen willst. Füge meinem Ander-Ich keinen Schaden mehr zu. Wenn du noch Strafe vergeben willst, werde ich sie auf mich nehmen.«
»Er betet
»Wie schön«, sagte Schedemei. »Vielleicht können wir jetzt für alle Götter sein.«
»Wenn wir erneut Schwingen zerreißen wollen, sollen wir die seinen und nicht die seines Ander-Ichs zerreißen.«
»Wie kommt er denn darauf?« fragte Chveja. »Glaubt er, wir wären wütend auf ihn?«
»Woher soll er wissen, was es mit uns auf sich hat?« fragte Luet. »Ich werde versuchen, es ihm zu zeigen.«
Sie beobachteten, wie Luet auf die Knie sank und dann zu dem Gesunden rutschte. »Poto«, sagte sie und zeigte auf ihn.
Er wandte ihr den Rücken zu und breitete die Schwingen aus, nicht ganz, aber so weit, daß das Leder der Flügel locker und offen vor ihr hing.
»Berühre sie«, schlug Schedemei vor. »Sehr sanft. Sie sind kräftig, aber ich weiß nicht, ob sie schmerzempfindlich sind oder nicht.«