Als der Engel seine Schwingen von ihr nahm, hockte Luet sich auf die Fersen und blickte ihm in die Augen. »Poto«, sagte sie und zeigte auf ihn. »Bet.« Dann zeigte sie auf sich. »Luet«, sagte sie.
»Was sagt sie?« fragte Poto. »Ich glaube, sie hat mir ihren Namen genannt, aber ich weiß nicht, was das für ein Geräusch ist. Es klingt so seltsam.«
»Uh-Et«, sagte pTo.
»Nein, vorher kommt noch etwas anderes. Aber kein Teufelsgeräusch, nur ein Verzerren der Musik. Wuh-Et. Juh-Et.«
»Hör doch, wie er versucht, deinen Namen zu sprechen«, sagte Ojkib. »Ich glaube, in ihrer Sprache gibt es kein L.«
»Wuet kommt dem schon ziemlich nah«, sagte Luet. Sie nickte und akzeptierte den Namen, den Poto aussprechen konnte. »Wuet«, sagte sie und zeigte erneut auf sich und dann auf ihn. »Poto. Bet Poto.«
»Potobet«, berichtigte der Engel sie.
»Potobet«, sagte sie.
Dann zeigte er erneut auf sie. »Wuetigo«, sagte er.
»Wuetigo«, sagte sie und zeigte auf sich.
Danach nickte der Engel — aber bei ihm war es eine übertriebene, unbeholfene Bewegung. Sie brachten ihr Einverständnis wahrscheinlich nicht durch ein Nicken zum Ausdruck, aber er hatte gesehen, wie die Menschen es taten, und folgte nun ihrem Beispiel. »Kluger Bursche«, sagte sie.
Dann zeigte sie auf das Bett, auf dem der andere Engel lag. »Po-To?« fragte sie.
»pTo«, sagte Poto.
»pTo«, antwortete sie.
»pTobet«, fügte Poto hinzu.
»Aha«, sagte Schedemei. »Wenn der eine dich adoptiert, ist auch der andere Zwilling dein Vater.«
»Zwillinge müssen in ihrer Kultur eine große Rolle spielen«, sagte Ojkib.
Vom Bett erklang die Stimme des Verletzten. »Wuetigo«, sagte er. Und dann verdrehte er zu ihrer Überraschung unter großen Mühen seine Zunge und sagte: »Luetigo.«
Sie lachten und klatschten erfreut in die Hände. Zuerst wirkten die Engel erschrocken, verängstigt. Doch als sie dann sahen, daß die Menschen beim Klatschen auch nickten, tat Poto es ihnen gleich.
In diesem Augenblick betrat Nafai den Raum, gefolgt von Issib und Huschidh. »Habe ich irgend etwas verpaßt?« fragte er.
»Nicht viel«, sagte Luet. »Darf ich dir meine neuen Adoptivväter vorstellen, Poto und pTo. Aber weil ich ihre Tochter bin, muß ich sie Potobet und pTobet nennen. Und sie nennen mich Luetigo.«
»Luetigo bedeutet, daß du ihre Tante bist«, sagte Ojkib. »Vergiß nicht, du hast sie zuerst adoptiert. Der auf dem Bett … Poh-To …«
»pTo«, verbesserte Chveja ihn.
»Der Verletzte«, sagte Ojkib. »Er ist sehr dankbar, daß du ihnen die Ehre erwiesen hast, sie zu deinen Neffen zu machen, und dann die noch größere Ehre, daß sie deine Väter sein dürfen. Es bedeutet ihnen sehr viel. Und ich glaube, es ist von Dauer.«
»Ja«, sagte Huschidh. »Du siehst es doch auch, nicht wahr, Chveja?«
»Sie haben dich in ihr Leben aufgenommen, Mutter«, sagte Chveja. »Du gehörst jetzt zu ihrer Familie. Du bist mit ihnen verbunden, wie du mit mir verbunden bist. Sie scherzen nicht. Das ist keine bloße Formalität.«
»Sie glauben«, sagte Ojkib, »dies bedeutet, daß alle Alten auf ewig Freunde des … Volkes, der Engel sein werden.«
»Gut«, sagte Nafai. »Ich glaube, wir haben einen sehr guten Anfang gemacht. Jetzt lassen wir die beiden für eine Weile allein. Schließ die Medizin weg, Schedja, und dann verschwinden wir für ein paar Stunden.«
»Der Schmerz wird ihm nicht gefallen.«
»Kannst du ihm etwas geben, das ihn bei Bewußtsein bleiben läßt?«
»Ja«, sagte Schedemei. »Aber wird sein Zwilling es zulassen?«
Poto war nicht sehr erfreut darüber. Doch als Luet sich vor ihm verbeugte und beide Hände zu einer demütigen Bitte ausstreckte, schien er zu verstehen, daß das Werkzeug in Schedemeis Hand keine Bedrohung darstellte. Sie spritzte das Medikament in pTos Unterschenkel, und dann verließen sie alle den Raum.
»Sie vertrauen uns«, sagte pTo.
»Oder aber, wir sind beide Gefangene«, sagte Poto.
»Dann stell sie doch auf die Probe. Geh einfach. Ich weiß, sie werden dich gehen lassen.«
»Ich werde erst gehen, sobald du mich begleiten kannst.«
»Dann
Poto kehrte zum Bett zurück und untersuchte die Wunden seines Ander-Ichs. »pTo«, sagte er, und seine Stimme füllte sich mit Staunen. »Der Riß in deiner Schwinge … er verheilt.«
»Das kann nicht sein«, sagte pTo. »Zerrissene Schwingen heilen nie. Zerrissene Schwingen sind Teufelsfleisch.«
»Aber es stimmt. Die Seiten des Risses wurden zusammengefügt, und eine Narbe bildet sich zwischen ihnen, wie auf Fellhaut. Die Alten haben die Macht, Leder heilen zu lassen.«
»Ach, Poto. Wer kann jetzt noch sagen, es sei falsch von mir gewesen, zu den Alten zu gehen?«
»Boboi«, sagte Poto trocken.
»Aber was sagst
»Ich sage, daß mein Ander-Ich vorangegangen ist. Ich sage, daß das Volk ohne deinen Mut, deine Kühnheit und deinen Ungehorsam den Alten fremd geblieben wäre. Aber jetzt sind die Alten unsere Freunde. Und einer von ihnen ist unsere Tante, und wir sind ihre Väter.«