»In sämtlichen Süßwasserflüssen dieses Massivs lebt ein winziger Plattwurm von mikroskopischer Größe. Wenn die Flüsse während der Regenzeit anschwellen, gräbt dieser Plattwurm sich in feste Tonschichten ein und legt Millionen winziger Eier. Solange sie naß bleiben, entwickeln sie sich nicht. Doch wenn die Trockenzeit kommt und der Wasserpegel sinkt, verändern sie sich und bilden harte, kleine Überzüge, die die Feuchtigkeit halten, die sie noch besitzen. Die Embryos könnten nun jederzeit ausschlüpfen. Aber das ist ihnen nicht möglich, weil sie ihre Schutzhüllen nicht loswerden. Also halten sie einen Winterschlaf und leben von ihrem Eigelb. Sie verbrauchen nur so wenig davon, daß sie auf diese Weise zwanzig bis dreißig Jahre überleben können. Auch bei der nächsten Regenzeit schlüpfen sie noch nicht aus, denn Wasser löst die Hüllen nicht auf. Und nun ratet mal, was sie auflöst.«
»Der Speichel der Engel«, sagte Ojkib.
»Kluger Junge«, sagte Schedemei. »Mein bester Schüler.« Einige lachten, aber die meisten warteten darauf, daß sie ihren Bericht fortsetzte. »Keine andere Flüssigkeit ist dazu in der Lage, denn die Engel haben winzige Organellen in den speichelproduzierenden Zellen ihrer Münder, die ein Enzym absondern, das innerhalb der Körper der Engel nicht die geringste Funktion hat — aber die Hüllen der Plattwurmeier auflöst. Wenn die Männer den Ton also in den Mund nehmen, weichen sie ihn nicht nur auf, um ihre Statuen herstellen zu können. Sie lösen auch die Hüllen Millionen kleiner Plattwürmer auf. Und zufällig enthalten die aufgelösten Hüllen genau die eine Chemikalie, die die Wirkung der prophylaktischen Drüse über den Hodensäcken der Engel und Wühler aufhebt. Die Fruchtbarkeitschemikalie löst sich sehr langsam auf, und die Statuen enthalten solche Mengen davon, daß sie mindestens für fünf, vielleicht sogar für zehn Jahre reichen.«
Nun hatten es alle begriffen. »Wenn die Wühler also die Statuen über ihre Körper reiben …« — »Schlucken die Engel etwas davon?« — »Wieviel von der Fruchtbarkeitschemikalie ist erforderlich?«
Schedemei hob die Hände, um den Fragen und Kommentaren ein Ende zu machen. »Ja, ihr habt es verstanden. Die männlichen Engel nehmen das Fruchtbarkeitsenzym mit dem Mund auf. Es ist nicht viel davon nötig, um die Tätigkeit der prophylaktischen Drüse aufzuheben, und sie erholt sich erst nach zwei, vielleicht drei Wochen und nimmt die Arbeit wieder auf. Also gibt es ein Zeitfenster, in dem die Fortpflanzung möglich ist. Und die männlichen Wühler haben am Unterbauch, in der Nähe der Leiste, eine besonders aufnahmefähige Stelle, von der aus die Chemikalie direkt ins Blut geleitet wird. Indem sie die Statuen an ihren verschwitzten Bäuchen reiben, lösen sie ein wenig Ton auf, woraufhin das aufgelöste Fruchtbarkeitsenzym ins Blut gelangt und genau wie bei den Engeln die Wirkung der prophylaktischen Drüse aufhebt. Die männlichen Wühler sind nun also zeugungsfähig. Doch da sie von dem Enzym viel weniger bekommen, ist für sie das Fruchtbarkeitsfenster nur ein paar Tage lang geöffnet. Das spielt aber keine Rolle. Während die Engel die Statuen nur einmal im Jahr anfertigen und ihren Fruchtbarkeitstreffer in dieser Zeit landen müssen, sind die Wühler aufgrund ihrer Kultur imstande, die Statuen jederzeit zu verehren. Die Statuen ermöglichen es ihnen also, sich fortzupflanzen, wann immer sie wollen. Sie müssen lediglich vorher beten.«
»Das ist der absurdeste, komplizierteste, unwahrscheinlichste und lächerlichste Mechanismus, von dem ich je gehört habe«, sagte Issib.
»Genau«, sagte Schedemei. »Es ist völlig unmöglich, daß er sich auf natürliche Weise entwickelt hat. Warum sollten die Wühler und Engel unabhängig voneinander Organe entwickeln, die sie steril machen? Darin liegt kein evolutionärer Vorteil. Warum sind die Engel nicht einfach ausgestorben, bevor sie überhaupt damit anfingen, die Statuen anzufertigen? Warum sind die Wühler nicht ausgestorben, bevor sie herausfanden, daß sie die Statuen der Engel über ihre Körper reiben müssen? Und warum ist eine besondere Chemikalie im Speichel der Engel nötig, damit ausgerechnet die Eier einer Plattwurmspezies ausschlüpfen können? Und warum haben die Engel eine Chemikalie entwickelt, die in ihrem Körper keine Funktion hat, aber die Hüllen der Plattwürmer auflösen kann?«
»In der Natur kommen viele seltsame Dinge vor«, bemerkte Ojkib.
»Natürlich«, sagte Schedemei. »Ich hätte nicht sagen sollen, es sei
»Aber darum geht es im Augenblick nicht«, sagte Zdorab. »Schedja hat eine Antwort darauf, doch wichtig ist in erster Linie, daß wir den Wühlern die Wahrheit sagen müssen. Sie müssen die Statuen wieder benutzen. Und sich neue besorgen.«