Die alte Religion verlor immer mehr Anhänger, und immer weniger Wühler nahmen an den jährlichen Beutezügen teil, bei denen sie die Statuen der sich paarenden Engel stahlen. Das Problem dabei war jedoch, daß gleichzeitig die Geburtsrate der Wühler geringer zu werden schien — während die Engel gediehen und ihre Bevölkerung mit fast schon beunruhigender Schnelligkeit wuchs. Unter den Wühlern wurde geflüstert, die neue Religion des Hüters der Erde sei in Wirklichkeit Teil einer Verschwörung mit dem Ziel, die Wühler zu vernichten, damit die Engel und Menschen die Welt unter sich aufteilen konnten. Nicht viele Wühler glaubten an diese Geschichten, aber immerhin so viele, daß Anlaß zur Besorgnis gegeben war. Und es gab natürlich einige, die diese Gerüchte ausnutzten. Als Nafai dann hörte, nicht alle Menschen, sondern nur Nafai und die, die ihm folgten, wollten die Wühler vernichten, wußte er, daß jemand versuchte, diese Gerüchte zu seinem Vorteil zu nutzen.
Doch derweil sank die Geburtsrate der Wühler weiterhin dramatisch, obwohl die Qualität ihrer Nahrung permanent verbessert wurde. Und die Engel mußten ihr Territorium ständig ausdehnen und immer mehr Wald verbrennen, um Land zu kultivieren. All diese Zwillinge, und keiner von ihnen starb während der Kindheit; all diese gesunden Erwachsenen, und keiner von ihnen kam bei den Raubzügen der Wühler ums Leben.
Sie waren seit zwölf Jahren auf der Erde, als Schedemei die erwachsenen Menschen zu einem Treffen zusammenrief. Sie habe die Geheimnisse endlich gelöst, sagte sie. Doch nun gab es einige neue Geheimnisse, und sie mußten einige Entscheidungen treffen.
»Wir haben uns eingemischt«, sagte Schedemei. »Wie ihr alle wißt, führt die sinkende Geburtsrate zu ernster Besorgnis unter den Wühlern.«
»Wir sind auch besorgt«, sagte Volemak.
»Na ja, ich weiß jetzt, wie es dazu gekommen ist. Wir haben es verschuldet. Wir sind dafür verantwortlich.«
Sie warteten. »Ich habe gar nicht gewußt, daß du einen so ausgeprägten Sinn für das Dramatische hast, Schedja«, sagte Mebbekew schließlich. »Wie lange sollen wir warten, bis du uns reinen Wein einschenkst?«
»Das ist erst das Wasser«, sagte sie. »Der Wein kommt später.« Einige lachten nervös. »Das Problem besteht darin, daß wir sie davon abgebracht haben, an ihre Götter zu glauben. Sie verehren sie nicht mehr. Sie stehlen den Engeln nicht mal neue Statuen. Und deshalb bekommen sie keine Kinder mehr.«
»Willst du damit sagen«, fragte Elemak lachend, »daß ihre Religion
»Mit einem Wort gesagt: ja«, sagte Schedemei. »Wir haben ein Dutzend Jahre die örtlichen Stämme der Wühler und Engel genau beobachtet. Zdorab und ich haben auch einige andere Wühler- und Engelsiedlungen besucht und sind ziemlich sicher, daß wir ein allgemeines Muster entdeckt haben. Zum einen gibt es kein einziges Engeldorf ohne eine Wühlerstadt in der Nähe, und keine einzige Wühlerstadt ohne ein Engeldorf in ein paar Fußstunden Entfernung. Das ist kein Zufall. Die Wühler können ohne die Engel nicht überleben. Genauer gesagt, die Wühler können sich nicht fortpflanzen, ohne die Statuen anzubeten, die die Engel bei ihrem Paarungsritual anfertigen.«
»Habe ich den Eindruck, daß es sich eher um eine biologische als um eine theologische Ursache handelt?«
»Natürlich, obwohl es nicht einfach ist, kleine Tonstatuen zu betrachten und einen biologischen Mechanismus zu sehen«, sagte Schedemei. »Zdorab hat mich als erster darauf hingewiesen, daß die Kunstfertigkeit bei der Schöpfung der Statuen biologisch gesehen gar keine Rolle spielt. Es ist der Speichel. Die Engelmänner nehmen den Ton in den Mund, speicheln ihn ein und stellen einen nassen Schlamm her, aus dem sie dann den Klumpen bilden, der zu der Statue wird. Gelegentlich nehmen sie noch mehr Ton in den Mund und durchnässen ihn. Es fließt reichlich Speichel.«
Die Zuhörer dachten angestrengt darüber nach und versuchten, sich einen Reim auf die Sache zu machen. »Du meinst, die Wühler müssen Engelspeichel auf ihre Körper reiben, um sich paaren zu können?«
»Nicht ganz«, sagte Schedemei. »Als wir die Körper der Engel und Wühler zum erstenmal untersucht haben, fanden wir ein kleines Organ — eigentlich eine Drüse — in der Nähe des Hodensacks. Sie war bei beiden Spezies identisch, obwohl sie keinen gemeinsamen Vorfahren mit einem ähnlichen Organ haben. Das war natürlich sehr verwirrend. Aber wir kennen die Funktion des Organs jetzt. Es sondert ständig winzige Mengen eines Hormons ab, das die Produktion von Sperma unterdrückt. Nein, laßt mich das klarstellen. Es unterbindet die Produktion von Sperma. Wenn das Organ arbeitet, sind die Männer völlig steril.«
»Was für ein nützliches kleines Organ«, murmelte Ojkib. Dann fuhr er lauter fort: »Wieso ist es überhaupt entstanden?«
»Es kommt noch schlimmer«, sagte Zdorab.