Die Kinder, die alt genug waren, um zu verstehen, was hier enthüllt wurde, würden später über einen gewaltigen Familienskandal sprechen können. Obring und Sevet hatten eine Affäre gehabt? Und wie hatte Sevet dafür bezahlt? Und was meinte sie damit, daß es um sie und Kokor gegangen war?
»Genug«, sagte Elemak. »Der alte Mann hat sein kleines Spiel aufgezogen, aber ihr werdet feststellen, daß er jetzt nicht den Mut hat, euch aufzufordern, euch gegen mich zu stellen. Er herrscht lediglich in irgendeiner eingebildeten Zukunft über euch. Er weiß genau, wie ihr alle, daß ich jetzt über euch herrsche. Und glaubt mir, ihr werdet nie eine Zukunft erleben, in der das nicht der Fall sein wird.« Er wandte sich an Obring. »Bleib hier und sorge dafür, daß niemand die Bibliothek verläßt.«
Obring grinste Vas an. »Ich glaube, du wirst mir keine Befehle mehr erteilen.«
»Vas ist noch immer eine Wache«, sagte Elemak. »Ich vertraue ihm nicht, aber er wird tun, was man ihm sagt. Und jetzt wird er tun, was
»Ja«, erwiderte Vas ruhig. »Ich werde tun, was man mir sagt. Aber ich werde auch alle meine Eide halten.«
»Ja, ja, ein ehrenwerter Mann und so weiter«, sagte Elemak. »Und jetzt komm, Meb. Bringen wir Vater und seine Frau zu Nafai. Und wenn wir schon dabei sind, können wir auch die Frau mitnehmen, die behauptet, daß sie nicht mehr meine Gattin ist.«
»Was habt ihr vor?« fragte Rasa verächtlich. »Wollt ihr uns so fesseln, wie ihr Nafai gefesselt habt?«
»Natürlich nicht«, sagte Elemak. »Ich behandle alte Leute mit Respekt. Aber für jeden, der deinen kleinen Eid geleistet hat, Vater, wird Nafai einen Schlag bekommen. Und ihr werdet zuschauen.«
Volemak funkelte Elemak an. »Ich wünschte, man hätte mich kastriert oder getötet, bevor ich dich zeugen konnte.«
»Was für ein trauriger Gedanke«, sagte Elemak. »Dann hättest du nie deinen kostbaren Nafai gezeugt. Aber jetzt, wo ich darüber nachdenke, frage ich mich, ob dazu überhaupt der Samen eines Mannes nötig war. Er ist doch nichts weiter als ein kleines Muttertöchterchen.«
Einen Augenblick später stießen Elemak und Mebbekew Volemak und Eiadh die Leiter hinab und durch den Gang zum Lagerraum, in dem Nafai lag. Rasa folgte ihnen hilflos.
Nafai schlief nicht richtig; er hatte in den letzten paar Tagen schon nicht mehr richtig geschlafen. Oder falls er doch geschlafen haben sollte, kam es ihm vor, als wäre er wach gewesen, so lebhaft waren die Träume. Manchmal brachten sie seine schlimmsten Befürchtungen zum Ausdruck, Träume von den Zwillingen, die nach Luft rangen, bis sie schließlich ganz zu atmen aufhörten, die Augen geöffnet, die Münder weit aufgerissen. Im Traum versuchte Nafai immer wieder, ihre Augen und Münder zu schließen, doch jedesmal, wenn er die Hand wegnahm, öffneten sie sich wieder. Aus diesen Träumen erwachte er selbst nach Luft ringend.
Manchmal jedoch träumte er von anderen Zeiten, von besseren Zeiten. Er erinnerte sich, wie er morgens im Haus seines Vaters aufgestanden, hinaus zur Dusche gelaufen war und das kalte Wasser aufgedreht hatte. Damals hatte er es nicht ausstehen können, doch jetzt erinnerte er sich mit Wohlgefallen daran. Eine unschuldige Zeit, in der das Schlimmste, was einem passieren konnte, der Schock des eiskalten Wassers auf Kopf und Rücken war, und in der das Schlimmste, das man tun konnte, altkluge Bemerkungen waren, die man solange von sich gab, bis die anderen zu lachen aufhörten und einem eine Abreibung verpaßten. Aber jetzt lachten sie überhaupt nicht mehr, jetzt verziehen sie nichts mehr, und das kalte Wasser war gar nichts; es wäre das reinste Vergnügen, es noch einmal zu spüren. Wie hatte ich in jenen Tagen wissen können, fragte er sich, wenn er aus solchen Träumen aufwachte, in denen er sich erinnerte, wie hatte ich damals wissen können, daß Elemaks Verärgerung sich in solchen Haß verwandelt? Daß uns so schlimme Tage bevorstehen? Ich habe klugscheißerische Scherze gerissen, weil ich Elemaks Aufmerksamkeit erregen wollte, das war alles. Er war wie ein Gott, so stark, und Vater hat ihn so sehr geliebt. Ich wollte nur, daß er mich bemerkt, daß er mir sagt, daß er mich gern hat, daß er annahm, ich würde eines Tages mit ihm in einer Karawane in ein fernes Land reiten und mit exotischen Pflanzen nach Hause kommen, die Vater dann verkaufen würde. Ich wollte nur, daß er mich respektiert, den Arm um meine Schulter legt und sagt: Das ist mein Bruder, seht euch meinen Bruder an, ich kann mich auf ihn verlassen, er ist meine rechte Hand.
Wer sonst hätte dein Bruder sein können, Elemak? Meb? Hättest du ihn gewählt? War ich für dich so verabscheuungswürdig, daß du ihn mir vorgezogen hast?
›Er hat Meb vorgezogen, weil er Mebbekew beherrschen konnte. Er hat dich gehaßt, weil du stärker warst als er.‹
Ja, mit dem Mantel des Herrn der Sterne bin ich stärker.
›Du weißt, daß du ihn jederzeit niederschlagen kannst.‹