Um sie herum hörte sie das Trappeln von tausend Füßen, während Männer und Frauen und Kinder zu jedem offenen Durchgang eilten, in der Hoffnung, einen Blick auf den Gott werfen zu können, wenn er an ihnen vorbeiging. Emeezem sah Hände, die nach oben griffen, damit das Licht des Gottes sie berührte; Eltern hielten ihre Kinder hoch, auf daß das Licht des Gottes ihre winzigen Körper segnete. Und noch immer folgte der Gott ihr, ohne daß sein Licht schwächer wurde.
Sie gelangten zu der Kammer, in der Emeezem vor so vielen Jahren — nein, damals war sie lediglich Emeez gewesen — zum erstenmal den unbeleckten Kopf des Gottes gesehen hatte. Sie blieb stehen und flehte ihn an, ihr zu verzeihen, daß sie ihn so lange in solcher Dunkelheit hatte stehenlassen.
Sie hörte, wie der Untergott zu ihm sprach und er antwortete. Dann leckte er seinen Finger, streckte die Hand aus und berührte die Oberschwelle der Türöffnung. Damit hinterließ er die Flüssigkeit seines Körpers auf der Tür der Kammer. Das war mehr als bloße Vergebung. Sie kniete vor Erleichterung nieder, und viele andere taten es ihr gleich. Sie hörte, wie eine Stimme, die eines Mannes, sang: »Wir haben deinen ruhmreichen Kopf in die Dunkelheit gestellt und ihn angebetet, weil wir im Ton dein Licht nicht sehen konnten. Aber du gibst uns die Wasser des Lebens zurück und bringst Licht in den Bauch der Erde. So edel, so groß!« Andere sangen ihre Zustimmung zu seinen Worten: »So edel! So groß! So edel! So groß!«
Der Gott erwies ihnen die Ehre, reglos dort zu stehen, bis das Lied endete. Dann ging Emeezem weiter, führte ihn tiefer in den Gang, zu dem Tempel, den sie für ihn hatte bauen lassen. Den Befehl dazu hatte sie an dem Tag gegeben, an dem sie zur Wurzelmutter gewählt worden war. Da der Kopf eine solche Größe besaß, war sie zu dem Schluß gekommen, daß auch der Gott sehr groß sein mußte, und so hatte sie das Volk seinen Tempel so tief graben lassen, daß die Decke nun sehr hoch war. Außerdem hatte sie den Tempel so anlegen lassen, daß das Dach in eine Felsspalte hinaufgriff, wodurch ein wenig Tageslicht in die Kammer fiel. Und an der hellsten Stelle dieses weichen, diffusen Schimmers hatte sie auf einem Podest, das aus Knochen des Himmelsfleisches bestand, seinen Kopf aufgestellt.
Doch mittlerweile war es Nacht, so daß es kaum Beleuchtung gab, als er den Tempel betrat. Statt dessen brachte er das Licht mit, und es erhellte jede Ecke des Raumes, als er sich auf die Füße erhob. Andere betraten den Raum nach ihm, drängten sich an die Wände des Tempels und beobachteten, wie er zu dem Podest ging, auf dem die Skulptur stand. Nun würde er sehen, wie sie ihn angebetet hatten, nachdem ihnen klar geworden war, daß sein seltsamer großer Kopf ein Zeichen der Macht und nicht der Schwäche war. Hatte man ihm nicht in diesem ersten Jahr die gesamte Frühlingsernte an kleinkindlichem Himmelsfleisch dargeboten, so daß sein Podest augenblicklich erhöht wurde, bis es mindestens so hoch stand wie die der anderen Götter? War seitdem nicht auch Jahr für Jahr weit mehr als sein Anteil Himmelsfleisch aufgebrochen und vom Volk zu seinen Ehren verzehrt worden? Dennoch hatte niemand seinen Kopf zur Zeit der Paarung benutzt; denn sie hatten begriffen, daß er nicht auf diese Weise verehrt werden durfte.
Der Gott ging langsam zu dem Gesicht und blieb vor ihm stehen. Es leuchtete in der Helligkeit seines Körpers, ein irdenes Gesicht vor seinem strahlenden. Er streckte die Hand aus und berührte es. Dann hob er den Kopf zur schwachen natürlichen Lichtquelle der Kammer und sank vor der Statue auf die Knie.
Ich verstehe, dachte Emeezem. Du zeigst uns, wie man dich richtig anbetet. Wir können nicht genau das tun, was du gerade getan hast, denn unsere Knie lassen sich in dieser Richtung nicht beugen. Aber wir werden das Gesicht berühren, wie du es berührt hast. Gab es einen Grund dafür, daß du es mit den Lippen berührt hast? Sollten es immer die Lippen sein? Oder werden wir jenen Teil des Gesichts berühren, der uns segnen soll? Du mußt es mir sagen. Vielleicht später, falls du dich herablassen solltest, deine Lippen zu besudeln, indem du unsere Sprache sprichst, oder falls dein Untergott die Gnade zeigen sollte, unsere unreine Sprache zu sprechen. Wir berühren dein Gesicht, schauen ins Licht, lassen uns dann vor deinem Gesicht auf unser Gesäß hinab und betrachten es. Ja, ich werde mich daran erinnern. Keiner von uns wird es vergessen.