»In Ordnung«, sagte Volemak. »Nafai, Ojkib soll ihnen sagen, daß sie die Geiseln jetzt zum Schiff bringen sollen. Und befiehl Dazja, sie dorthin zu führen, damit sie Schedemei erklärt, was sie mit ihnen anstellen soll. Sie sollen bewußtlos bleiben, und ich will, daß sie sie gründlich studiert.«
Dazja, das ehemalige Erste Kind, trat vor. »Ich habe verstanden«, sagte sie.
»Aber du hast anscheinend nicht verstanden, daß ich will, daß Nafai dir den Befehl erteilt«, sagte Volemak, ohne sie anzusehen.
Nafai wandte sich an Dazja und erteilte genau denselben Befehl, den Volemak bereits erteilt hatte. Dazja verbeugte sich errötend. Die Wühlersoldaten bildeten eine Prozession hinter ihr und trugen die neun Bewußtlosen zum Schiff.
Die Befehlsgewalt war nun eindeutig festgesetzt worden. Königin Emeezem wandte sich jetzt direkt an Ojkib. Das Problem bestand darin, daß sie ihn nicht als Gott betrachtete und ihre Worte daher kein Gebet waren, wenn sie mit ihm sprach. Es war weder eine Kommunikation mit dem Hüter noch mit der Überseele, und so hörte Ojkib lediglich ein unverständliches Zischen und Summen. »Wenn sie nicht glauben, mit einem Gott zu sprechen, kann ich sie nicht verstehen«, sagte Ojkib.
»Bleib einfach stehen und weigere dich, sie anzuhören«, sagte Volemak. »Wenn sie innehält, zeigst du auf Nafai.«
Ojkib gehorchte. Sie begriff sofort und sprach dieselben Worte zu Nafai. Ojkib konnte sie wieder verstehen.
Oder vielleicht auch nicht. »Sie bittet dich, sie zu begleiten und zu sehen, wie gut sie sich um deinen … hm … gekümmert haben.«
»Um meinen was?«
»Es ergibt keinen Sinn«, sagte Ojkib.
»Um meinen was haben sie sich gekümmert?«
»Um deinen Kopf«, sagte Ojkib.
»Wohin soll ich sie begleiten?«
»Unter die Erde«, sagte Ojkib. »Sie will, daß du ihr unter die Erde folgst.«
Nafai wandte sich an Volemak und wiederholte ausführlich alles, was Ojkib gesagt hatte. Volemak hörte mit bewußt ernster Miene zu.
»Zuerst sollen die Soldaten fortgehen«, sagte er dann. »Und dann wirst du, Nafai, ihr in die Tunnels folgen. Du hast den Mantel. Wenn sie uns betrügen wollen, wirst du als einziger in Sicherheit sein.«
»Ich muß Ojkib mitnehmen«, sagte Nafai. »Ich verstehe kein Wort von dem, was sie sagen.«
Volemak zögerte nur ganz kurz. »Gib auf ihn acht«, sagte er.
11
Löcher
Es war erstaunlich, daß ein Gott sich in einem solchen Maße herabließ. Emeezem wagte es, ihn zu bitten, weil sie alt war und keine Furcht hatte, und weil sie im Laufe ihres Lebens gelernt hatte, auf Dinge zu hoffen, auf die man eigentlich nicht hoffen konnte. Und genauso, wie er sie akzeptiert hatte, als sie ein häßliches, unerwünschtes Kind gewesen war, akzeptierte der Gott sie nun erneut und folgte ihr in die Stadt hinunter.
Auf ihre Bitte hin, die Welt des Lichts zu verlassen und in die Dunkelheit zu kommen! Der strahlende Glanz seines unsterblichen Körpers würde die irdenen Mauern der tiefen Tempel erhellen! Sie wollte singen, zu den Tunnels hinabtanzen. Aber sie führte einen Gott zu seinem Tempel. Die Würde mußte gewahrt bleiben.
Besonders um Mufruzhuuzh’ willen; er bedürfte heute der Würde. Niemand würde ihn des Geschehenen wegen kritisieren; schließlich war es ja Fusum gewesen, der den Diebstahl des Kleinkindes geplant und ihnen eine tödliche Konfrontation aufgezwungen hatte, die Muf weder gesucht noch gewollt hatte. Und er war dem Gott tapfer gegenübergetreten — alle sahen, daß er keine Furcht hatte, als er dem Gott sein Herz anbot. Als der Gott ihn dann aufforderte, unmögliche Taten zu vollbringen, Dinge zu tun, die nur der Blutkönig tun konnte, falls überhaupt — nun, niemand konnte ihm Vorwürfe machen, daß er da gezögert und nicht gehandelt hatte. Er hatte sich nirgendwohin wenden können, also hatte er sich überhaupt nicht gerührt.
Dennoch war es erniedrigend für ihn, daß seine Frau vortreten und ihn aus diesem Dilemma befreien mußte. Ganz zu schweigen davon, daß die Frau des Kriegskönigs nur ganz selten auch die Wurzelmutter war. Er war beschämt, als seine Frau von dem Gott akzeptiert wurde, der ihm nur unlösbare Rätsel aufgegeben hatte.
Doch konnte Emeezem etwas daran ändern, daß ihr das Kind in die Hände gefallen war? Muf wußte nicht, wo das Baby versteckt worden war — erst, als Fusums Schwester klar geworden war, was für eine schreckliche Tat er begangen hatte, hatte sie sich mit der Wahrheit an sie gewandt, und da stand Muf bereits dem Gott gegenüber. Es war nur eine unglückliche Verkettung von Umständen. Mufruzhuuzh war noch immer Kriegskönig. Der Gott würde alles richten.
Der Gott war so groß, daß er sich auf alle viere niederlassen mußte, um durch die Tunnels zu gelangen. Natürlich hätte er genauso gut aufrecht gehen und die Dächer der Tunnels aufreißen können, einfach, indem er hindurchschritt. Aber das tat er nicht; er ließ die Tunnels unbeschädigt, damit das Volk sie weiterhin benutzen konnte. Solche Freundlichkeit! Solche Großzügigkeit gegenüber einfachen erdkriechenden Würmern wie uns!