„Kleingläubiger!” Er warf mir einen vernichtenden Blick zu.
Wie ein glasklares Tier lagerte die Spannung jetzt über dem weiten Platz und den Tribünen, als die Wagen zum Endkampf ansetzten. „Fasst alle Holz an”, sagte ich und umklammerte einen Hammerstiel. Lenz griff an meinen Kopf. Ich stieß ihn weg. Er grinste und fasste an die Barriere.
In einer Wolke von Gewittern fegten die drei Wagen heraus, heran, wir schrien wie die Verrückten, auch Valentin und Graus ungeheurer Bass waren jetzt dabei, – Köster war der Wahnsinn geglückt, er hatte den zweiten in der Kurve von oben her überholt, weil der sich verschätzt und im schärferen Bogen innen Fahrt verloren hatte, und jetzt stieß er wie ein Habicht auf Braumüller los, der plötzlich nur noch zwanzig Meter vor ihm lag und scheinbar Fehlzündungen hatte. „Gib ihm, Otto! Gib ihm! Friss den Nussknacker”, brüllten wir und winkten.
Die Wagen verschwanden in der letzten Kurve. Lenz betete laut zu allen Göttern Asiens und Südamerikas um Hilfe und schwenkte sein Amulett. Ich riss meins ebenfalls heraus. Patrice Hollmann stützte sich auf meine Schulter, das Gesicht spähend weit nach vorn gereckt wie das Antlitz einer Gallionsfigur[78]
.Da kamen sie heran. Braumüllers Motor spuckte immer noch, er setzte alle Augenblicke wieder aus. Ich machte die Augen zu; Lenz drehte sich um, den Rücken zur Bahn – wir wollten das Schicksal bestechen. Ein Ruf riss uns herum. Wir sahen gerade noch, wie Köster mit zwei Metern Vorsprung als erster durchs Ziel ging.
Lenz wurde wahnsinnig. Er schleuderte das Werkzeug zur Erde und machte einen Handstand auf den Reifen.
„Wie sagten Sie vorhin?” brüllte er, als er wieder senkrecht stand, zu dem herkulischen Monteur hinüber, „Klamotte?”
„Ach, Mensch, quak mich nicht an”, erwiderte der Monteur missmutig. Und zum ersten Male, seit ich ihn kannte, kriegte der letzte Romantiker bei einer Beleidigung keinen Wutanfall, sondern einen Veitstanz[79]
vor Lachen.Wir warteten auf Otto. Er hatte noch bei der Rennleitung zu tun.
„Gottfried”, sagte auf einmal eine heisere Stimme hinter uns. Wir drehten uns um. Da stand ein menschliches Gebirge in zu engen, gestreiften Hosen, zu engem Marengojackett[80]
und schwarzer Melone.„Alfons!” rief Patrice Hollmann.
„Persönlich”, gab er zu.
„Wir haben gewonnen, Alfons!” rief sie.
„Heftig, heftig. Dann komm ich wohl zu spät, was?”
„Du kommst nie zu spät, Alfons”, sagte Lenz.
„Wollte euch eigentlich was zu futtern bringen. Kalter Schweinebraten und etwas Pökelrippchen. Schon zugeschnitten.”
„Gib her und setz dich, du Goldjunge!” rief Gottfried. „Wir legen gleich los.”
Er machte das Paket auf. „Mein Gott”, sagte Patrice Hollmann, „das ist ja für ein Regiment.”
„Kann man immer erst nachher entscheiden”, meinte Alfons.
„Übrigens – etwas Eiskümmel ist auch da.”
Er holte zwei Flaschen heraus. „Pfropfen sind schon gezogen.”
„Heftig, heftig”, sagte Patrice Hollmann. Er blinzelte ihr wohlwollend zu.
Karl blubberte heran. Köster und Jupp sprangen heraus. Jupp sah aus wie ein junger Napoleon. Seine Ohren leuchteten wie Kirchenfenster. Er hatte einen entsetzlich geschmacklosen, riesigen Silberpokal in den Armen. „Der sechste”, sagte Köster lachend. „Dass den Leuten auch nie was anderes einfällt.”
„Nur den Milchtopf?” fragte Alfons sachlich, „keinen cash[81]
?”„Doch”, beruhigte ihn Otto, „auch cash.”
„Dann schwimmen wir ja geradezu in Geld”, sagte Grau.
„Scheint ein netter Abend zu werden.”
„Bei mir?” fragte Alfons.
„Ehrensache”, erwiderte Lenz.
„Erbsensuppe mit Schweinebauch, Pfoten und Ohren”, sagte Alfons, und sogar Patrice Hollmann machte ein Gesicht voll Hochachtung. „Gratis natürlich”, fügte er hinzu.
Braumüller kam heran, fluchend über sein Pech, die Hand voll verölter Zündkerzen. „Beruhige dich, Theo”, rief Lenz. „Der erste Preis im nächsten Kinderwagenrennen ist dir sicher.”
„Gebt ihr mir Revanche[82]
mit Kognak?” fragte Braumüller.„In Biergläsern sogar”, sagte Grau.
„Keine Chance[83]
für Sie, Herr Braumüller”, erklärte Alfons als Sachverständiger. „Habe Köster noch nie blau gesehen.”[84]„Habe Karl auch noch nie vor mir gesehen”, gab Braumüller zurück. „Außer heute.”
„Trags mit Würde”, sagte Grau. „Hier hast du ein Glas. Wir wollen auf den Niedergang der Kultur durch die Maschine trinken.”
Patrice Hollmann hatte nach dem Essen bei Alfons für mein Gefühl zu viel Erfolg. Ich erwischte Grau dabei, wie er ihr erneut vorschlug, sie zu malen. Sie lachte und erklärte, es dauere ihr zu lange; photographieren sei bequemer.
„Das ist auch mehr sein Fach”, sagte ich anzüglich. „Vielleicht malt er Sie nach einer Photographie.”
„Ruhe, Robby”, erwiderte Ferdinand unbeirrt und starrte Pat aus seinen riesigen, blauen Kinderaugen an. „Der Schnaps macht dich bösartig, – mich menschlich. Das ist der Unterschied zwischen unseren Generationen.”
„Er ist so an zehn Jahre älter als ich”, warf ich ein.