Um jene Zeit kam Teiser mir wieder näher. Er war mir unentbehrlich für die Arbeit, und so war er der nächste, der mein Geheimnis erfuhr und Text und Plan meiner Oper kennenlernte. Bedächtig nahm er alles an sich, um es zu Hause zu studieren. Dann aber kam er, und sein blondbärtiges Kindergesicht war rot vor Vergnügen und Musikleidenschafft.
»Das wird was, Ihre Oper!« rief er erregt. »Die Ouvertüre dazu spür ich schon in den Fingern! Jetzt gehen wir und trinken einen guten Schoppen[64]
, Sie Manderl, und wenn’s nicht unbescheiden wär, würd ich sagen, wir trinken Brüderschafft. Aber es soll nicht aufgenötigt sein.«Das nahm ich gerne an, und es wurde ein froher Abend daraus. Teiser nahm mich zum erstenmal in seine Wohnung mit. Er hatte vor kurzem eine Schwester zu sich genommen, die nach dem Tod der Mutter allein geblieben war, und wusste nicht genug zu rühmen, wie wohlig ihm nach langen Junggesellenjahren im neuen Haushalt sei. Die Schwester war ein schlichtes, vergnügtes, harmloses Mädchen mit den selben hellen, kindlichen, freudig guten Augen, wie ihr Bruder sie hatte, und hieß Brigitte. Sie brachte uns Kuchen und hellgrünen Österreicher Wein, dazu das Kästlein mit den langen Virginiazigarren. Da tranken wir das erste Glas auf ihr Wohl und das zweite auf gute Brüderschafft, und während wir Kuchen aßen, Wein tranken und rauchten, fuhr der gute Teiser in seiner Herzensfreude hin und wieder durchs Zimmerlein, saß bald am Klavier, bald mit der Gitarre im Arm auf dem Kanapee, bald mit der Geige auf der Tischecke, spielte, was ihm Schönes durch den Kopf ging, sang und ließ seine frohen Augen glänzen, und alles mir und meiner Oper zu Ehren. Es zeigte sich, dass die Schwester dasselbe Blut habe und nicht minder auf Mozart schwöre; Arien aus der Zauberflöte und Stücke aus dem Don Giovanni funkelten durch die kleine Wohnung, von Gesprächen und Gläserklirren unterbrochen, von der Geige, dem Klavier, der Gitarre oder auch nur vom Pfeifen des Bruders tadellos rein und richtig begleitet.
Für die kurze Sommerspielzeit war ich noch als Orchestergeiger verpflichtet, hatte aber auf den Herbst um meine Entlassung gebeten, da ich alsdann alle Zeit und Lust für meine Arbeit zu brauchen dachte. Der Kapellmeister, den mein Gehen ärgerte, behandelte mich zu guter Letzt mit ausgesuchter Grobheit, die mir aber Teiser brav parieren und belachen half.
Mit diesem Treuen arbeitete ich die Instrumentierung meiner Opernmusik aus, und so andächtig er meine Gedanken gelten ließ, so unerbittlich legte er den Finger auf alle Verstöße in der Orchesterbehandlung. Oft geriet er in hellen Zorn und kanzelte mich ab wie ein derber Dirigent, bis ich eine zweifelhafte Stelle, in die ich verliebt und verbissen war, ausstrich und änderte. Und immer war er mit Beispielen zur Hand, wenn ich zweifelte und ungewiss war. Wo ich etwas Misslungenes durchsetzen oder eine Kühnheit nicht wagen wollte, kam er mit Partituren angelaufen und wies mir nach, wie das der Mozart oder der Lortzing[65]
gemacht habe, und dass mein Zögern eine Feigheit oder mein Beharren eine »Kuhdummheit« sei. Wir brüllten einander an, kriegten und tobten, und wenn es in Teisers Wohnung geschah, so hörte die Brigitte andächtig zu, kam und ging mit Wein und Zigarren und strich manches zerknüllte Notenblatt mitleidig und sorgfältig wieder glatt. Der Liebe zu ihrem Bruder kam ihre Bewunderung für mich gleich, ich war für sie ein Maestro. An jedem Sonntag musste ich zum Essen kommen, und nach Tische ging es, wenn nur ein blauer Fleck am Himmel war, mit der Straßenbahn hinaus. Da spazierten wir über die Hügel und durch die Wälder, plauderten und sangen, und die Geschwister ließen ungebeten immer wieder ihre heimischen Jodler[66] steigen.Dabei kamen wir einmal zum Imbiss in ein Dorfwirtshaus, wo uns aus weit offenen Fenstern eine ländliche Tanzmusik entgegenjubelte, und als wir gegessen hatten und beim Apfelmost ausruhend im Garten saßen, schlich die Brigitte bald zum Hause hinüber und hinein, und als wir es merkten und nach ihr ausschauten, sahen wir sie am Fenster vorbeitanzen, frisch und sprühend wie ein Sommermorgen. Als sie wiederkam, drohte ihr Teiser mit dem Finger und meinte, sie hätte ihn wohl auch auffordern dürfen. Da wurde sie rot und verlegen, winkte ihm abwehrend zu und sah mich an.
»Was ist denn?« fragte ihr Bruder.
»Lass doch«, meinte sie nur, aber zufällig sah ich, wie sie ihn mit dem Blick auf mich aufmerksam machte; und Teiser sagte: »Ach so.«
Ich sagte nichts, doch war es mir wunderlich, sie darüber verlegen zu sehen, dass sie in meiner Gegenwart getanzt hatte. Es fiel mir erst jetzt ein, dass wohl auch ihre Spaziergänge rascher und weiter und anders gegangen wären ohne meine hemmende Gesellschafft, und ich schloss mich von da an ihren Sonntagsausflügen nur selten mehr an.