Читаем Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке полностью

Dennoch arbeitete ich wieder leidlich fleißig und kam innerlich in diesem Sommer vollends mit der Oper zustande, wenn auch außen noch viel fehlte und erst das wenigste aufgeschrieben war. Manchmal kam ich wieder in helle Freude und dachte mit Hochmut mir aus, wie mein Werk Macht über Menschen gewinnen würde, wie Sänger und Musikanten, Kapellmeister und Chöre Vollstrecker meines Willens sein müssten, und wie er auf Tausende wirken werde. Zu andern Zeiten kam es mir beinahe unheimlich und gespenstisch vor, dass alle diese Bewegungen und diese Macht ausgehen sollten von den ohnmächtigen Träumen und Phantasien eines armen, einsamen Menschen, den alle bemitleideten. Zuweilen verlor ich auch den Mut und wollte finden, meine Arbeit könne unmöglich je aufgeführt werden, es sei alles falsch und übertrieben. Doch war das selten, im Grunde war ich vom Leben und von der Kraft meiner Arbeit überzeugt. Sie war auch ehrlich und glühend, sie war erlebt und hatte Blut in den Adern, und wenn ich sie auch heute nicht mehr hören mag und ganz andere Noten schreibe, so ist doch in jener Oper meine ganze Jugend, und wenn manche Takte daraus mir wieder begegnen, so ist mir nicht anders, als wehe ein lauer Frühlingssturm aus verlassenen Tälern der Jugend und der Leidenschafft herüber. Und wenn ich denke, dass ihre ganze Glut und Macht über die Herzen aus Schwäche und Entbehrung und Sehnsucht geboren ist, so weiß ich nicht mehr, ob ich mein ganzes Leben in jener Zeit, und auch noch das jetzige, lieb oder leid sein soll.

Der Sommer ging zur Neige, in einer finsteren Nacht mit wilden, leidenschafftlich schluchzenden Regengüssen schrieb ich die Ouvertüre zu Ende, und am Morgen war der Regen kühl und mild, der Himmel glatt grau und der Garten herbstlich geworden. Ich packte meine Sachen zusammen und fuhr in die Stadt zurück.

Von allen meinen Bekannten war nur Teiser mit seiner Schwester schon zurückgekehrt. Sie sahen beide bergbraun aus, hatten auf ihren Touren erstaunlich viel erlebt und waren doch voll Teilnahme und Spannung, zu sehen, wie es mit der Oper stehe. Wir nahmen die Ouvertüre durch, und es war mir selber nahezu feierlich, als Teiser mir die Hand auf die Schulter legte und zu seiner Schwester sagte: »Brigitt, schau den an, das ist ein großer Musiker!«

Gertruds Ankunft erwartete ich trotz aller Sehnsucht und Erregung doch mit Vertrauen. Ich konnte ihr ein schönes Stück Arbeit zeigen und wusste, sie lebe mit und verstehe und genieße alles wie ihr Eigenes. Am meisten war ich auf Heinrich Muoth gespannt, dessen Hilfe mir unentbehrlich war und von dem ich seit Monaten kein Wort gehört hatte.

Endlich erschien er, noch vor Gertruds Rückkehr, und trat eines Morgens in mein Zimmer. Lange sah er mir ins Gesicht.

»Sie sehen scheußlich aus«, sagte er kopfschüttelnd. »Na, wenn man solche Sachen schreibt!«

»Haben Sie die Rolle angesehen?«

»Angesehen? Ich kann sie auswendig und werde sie singen, sobald Sie wollen. Das ist ja eine verfluchte Musik!«

»Meinen Sie?«

»Sie werden sehen. Jetzt haben Sie Ihre schönste Zeit gehabt, warten Sie nur! Mit der Dachkammerberühmtheit[68] ist es vorbei, sobald die Oper gespielt wird. Nun, das ist Ihre Sache. Wann wollen wir singen? Ein paar Anmerkungen hätte ich immerhin zu machen. Wie weit sind Sie mit dem Ganzen?«

Ich zeigte ihm, was zu zeigen war, und er nahm mich gleich mit in seine Wohnung. Da hörte ich ihn zum erstenmal diese Rolle singen, bei der ich durch meine eigene Leidenschafft hindurch immer an ihn gedacht hatte, und fühlte die Macht meiner Musik und seiner Stimme. Erst jetzt konnte ich in Gedanken das Ganze auf der Bühne vor mir sehen, erst jetzt schlug meine eigene Flamme mir entgegen und ließ mich ihre Wärme fühlen, gehörte nimmer mir und war nimmer mein Werk, sondern hatte eigenes Leben und wirkte als eine fremde Macht auf mich. Zum erstenmal fühlte ich diese Loslösung eines Werkes vom Schöpfer, an die ich bis dahin nicht recht geglaubt hatte. Mein Werk begann dazustehen und sich zu regen und Leben zu zeigen, eben noch hatte ich es in der Hand gehabt, und schon jetzt war es nimmer mein, war es wie ein Kind dem Vater entwachsen, lebte und übte Macht auf eigne Faust, sah mich aus fremden Augen selbständig an und trug doch meinen Namen und mein Zeichen an der Stirn geschrieben. Dieselbe zwiespältige, ja manchmal erschreckende Empfindung habe ich später bei den Aufführungen gehabt.

Muoth hatte die Rolle gut geübt, und was er geändert zu sehen begehrte, konnte ich ihm wohl zugestehen. Nun fragte er neugierig nach der Sopranrolle, die er nur halb kannte, und wollte wissen, ob sie mir schon einer Sängerin durchgesungen worden sei. Ich musste ihm nun, zum erstenmal, von Gertrud sprechen, und es gelang mir, es ruhig und unauffällig zu tun. Dem Namen nach kannte er sie wohl, hatte aber nie im Hause Imthor verkehrt und war erstaunt zu hören, dass Gertrud die Rolle studiert habe und singen könne.

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Джеймс Джойс – великий ирландский писатель, классик и одновременно разрушитель классики с ее канонами, человек, которому более, чем кому-либо, обязаны своим рождением новые литературные школы и направления XX века. В историю мировой литературы он вошел как автор романа «Улисс», ставшего одной из величайших книг за всю историю литературы. В настоящем томе представлена вся проза писателя, предшествующая этому великому роману, в лучших на сегодняшний день переводах: сборник рассказов «Дублинцы», роман «Портрет художника в юности», а также так называемая «виртуальная» проза Джойса, ранние пробы пера будущего гения, не опубликованные при жизни произведения, таящие в себе семена грядущих шедевров. Книга станет прекрасным подарком для всех ценителей творчества Джеймса Джойса.

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