Noch eine Zeitlang behielt Gertrud ihre Scheu vor Muoth und ward ihm gegenüber nur beim Singen frei und harmlos. Er war sehr zurückhaltend und rücksichtsvoll, und allmählich sah ihn Gertrud gerne kommen und lud ihn, gerade wie mich, jedesmal mit unbefangener Freundlichkeit zum Wiederkommen ein. Die Stunden, in denen wir drei allein zusammen waren, wurden selten. Die Rollen waren durchgesungen und durchbesprochen, auch hatte bei Imthors die winterliche Geselligkeit mit den regelmäßigen Musikabenden wieder begonnen, an denen nun auch Muoth häufig erschien, doch ohne dabei mitzuwirken.
Manchmal meinte ich wahrzunehmen, dass Gertrud mir fremder zu werden anfange, dass sie sich etwas von mir zurückziehe; doch strafte ich mich für solche Gedanken stets und schämte mich meines Misstrauens. Ich sah Gertrud als Dame eines geselligen Hauses sehr in Anspruch genommen und hatte oft meine Freude daran, sie inmitten der Gäste so schlank und fürstlich und doch anmutig gehen und walten zu sehen.
Für mich vergingen die Wochen schnell. Ich saß an der Arbeit, die ich während des Winters möglichst zu vollenden dachte, hatte Zusammenkünfte mit Teiser, Abende bei ihm und seiner Schwester, dazu allerlei Briefwechsel und Erlebnisse, denn es wurden da und dort meine Lieder gesungen und in Berlin alles, was ich für Streichmusik komponiert hatte, aufgeführt. Es kamen Anfragen und Zeitungskritiken, und plötzlich schien auch schon jedermann zu wissen, dass ich an einer Oper arbeite, obwohl ich selber außer Gertrud, den Teisers und Muoth niemand ein Wort davon gesagt hatte. Nun, jetzt war es einerlei, und im Grunde freuten mich diese Zeichen des Erfolges, es schien nun endlich und doch früh genug ein offener Weg vor mir zu liegen.
Zu Hause bei den Eltern war ich ein ganzes Jahr nimmer gewesen. Nun fuhr ich zu Weihnachten hin. Ich fand die Mutter liebevoll, doch in der alten Befangenheit, die zwischen uns bestand und die bei mir eine Furcht für Nichtverstandenwerden, bei ihr ein Unglaube an meinen Künstlerberuf und ein Misstrauen gegen die Ernsthaftigkeit meiner Bestrebungen war. Nun sprach sie lebhaft von dem, was sie über mich gehört und gelesen hatte, doch mehr um mir damit eine Freude zu machen als aus Überzeugung, denn im Grunde misstraute sie diesen scheinbaren Erfolgen ebenso wie meiner ganzen Kunst. Sie war nicht ohne Freude an Musik, hatte früher auch etwas gesungen, doch war immerhin ein Musikant in ihren Augen etwas Armseliges, auch konnte sie meine Musik, von der sie einiges gehört hatte, nicht verstehen oder billigen.
Der Vater hatte mehr Glauben. Als Kaufmann dachte er vor allem an mein äußeres Fortkommen, und obwohl er mich stets ohne Murren reichlich unterstützt und seit meinem Austritt aus dem Orchester sogar meinen ganzen Unterhalt wieder bestritten hatte, sah er es doch gerne, dass ich zu verdienen begann und Aussicht hatte[70]
, einmal vom eigenen Erwerb leben zu können, was er auch bei vorhandenem Reichtum für die notwendige Grundlage einer ehrenhaften Existenz ansah. Übrigens fand ich ihn im Bett liegend, er war gerade am Tage vor meiner Ankunft gefallen und hatte sich am Fuß verletzt.