Читаем Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке полностью

Ich konnte nichts sagen, gleich darauf kam ein junger Arzt, und bald hinter ihm ein alter, der Sterbende bekam Morphium und tat die klugen Augen, die jetzt so überlegen und allwissend schauen konnten, nicht mehr auf. Wir saßen bei ihm und sahen ihn liegen, und sahen ihn ruhig werden und sein Gesicht verändern, und warteten auf sein Ende. Er lebte noch manche Stunde dahin und starb am späten Nachmittag. Ich empfand nichts mehr als dumpfes Leid und tiefe Müdigkeit, saß mit heißen trockenen Augen und schlief gegen Abend am Totenbette sitzend ein.

Sechstes Kapitel

Dass das Leben schwer zu leben ist, hatte ich auch früher schon zuzeiten dunkel empfunden. Nun hatte ich neue Ursache zu grübeln. Bis heute ist mir das Gefühl des Widerspruchs nie mehr verlorengegangen, das in jener Erkenntnis wurzelt. Denn mein Leben ist arm und mühsam gewesen und scheint doch andern, und manchmal mir selber, reich und herrlich. Mir erscheint das Menschenleben wie eine tiefe, traurige Nacht, die nicht zu ertragen wäre, wenn nicht da und dort Blitze flammten, deren plötzliche Helle so tröstlich und wunderbar ist, dass ihre Sekunden die Jahre des Dunkels auslöschen und rechtfertigen können.

Das Dunkel, die trostlose Finsternis, das ist der schreckliche Kreislauf des täglichen Lebens. Wozu steht man am Morgen auf, isst, trinkt, legt sich abermals wieder hin? Das Kind, der Wilde, der gesunde junge Mensch, das Tier leidet unter dem Kreislauf gleichgültiger Dinge und Tätigkeiten nicht. Wer nicht am Denken leidet, den freut das Aufstehen am Morgen und das Essen und Trinken, der findet Genüge darin und will es nicht anders. Wem aber diese Selbstverständlichkeit verlorenging, der sucht im Lauf der Tage begierig und wachsam nach den Augenblicken wahren Lebens, deren Aufblitzen beglückt und das Gefühl der Zeit samt allen Gedanken an Sinn und Ziel des Ganzen auslöscht. Man kann diese Augenblicke die schöpferischen nennen, weil es scheint, dass sie das Gefühl der Vereinigung mit dem Schöpfer bringen, weil man in ihnen alles, auch das sonst Zufällige, als gewollt empfindet. Es ist dasselbe, was die Mystiker die Vereinigung mit Gott nennen. Vielleicht ist es das überhelle Licht dieser Augenblicke, dass alle übrigen so finster erscheinen lässt, vielleicht kommt es von der befreiten, zauberhaften Leichtigkeit und Schwebewonne jener Augenblicke, dass das übrige leben so schwer und klebend und niederziehend empfunden wird. Ich weiß es nicht, ich habe es im Denken und Philosophieren nicht weit gebracht. Doch weiß ich: wenn es eine Seligkeit gibt und ein Paradies, so muss es eine ungestörte Dauer solcher Augenblicke sein; und wenn man diese Seligkeit durch Leid und Läuterung im Schmerz erlangen kann, so ist kein Leid und Schmerz so groß, dass man sie fliehen sollte. Einige Tage nach dem Begräbnis meines Vaters – ich ging noch in Betäubung und geistiger Erschlaffung umher – geriet ich auf einem ziellosen Spaziergang in eine vorstädtische Gartenstraße. Die kleinen hübschen Häuser weckten eine halbklare Erinnerung in mir, der ich grübelnd nachging, bis ich Garten und Haus meines alten Lehrers erkannte, der mich vor einigen Jahren zum Glauben der Theosophen hatte bekehren wollen. Ich ging hinein, der Mann kam mir entgegen, erkannte mich und führte mich freundlich in sein Zimmer, wo um Bücher und Blumentöpfe ein leichter behaglicher Duft von Tabakrauch wehte.

»Wie geht es Ihnen?« fragte Herr Lohe. »Ja, Sie haben ja Ihren Vater verloren! Sie sehen auch bekümmert aus. Ist es Ihnen so nahe gegangen?«

»Nein.« sagte ich. »Der Tod meines Vaters hätte mir weher getan, wenn ich ihm noch fremd gewesen wäre. Ich habe mich aber bei meinem letzten Besuch mit ihm befreundet und bin das peinliche Schuldgefühl losgeworden, das man gegen gute Eltern hat, solange man mehr Liebe von ihnen nimmt, als man geben kann.«

»Das freut mich.«

»Wie steht es denn mit Ihrer Theosophie? Ich würde gern etwas von Ihnen hören, weil es mir schlecht geht.«

»Wo fehlt es Ihnen denn?«

»An allem. Ich kann nicht leben und nicht sterben. Ich finde das Ganze falsch und dumm.«

Herr Lohe verzog sein gutes, zufriedenes Gärtnergesicht schmerzlich. Ich muss gestehen, eben dieses gute, etwas feistliche Gesicht hatte mich verstimmt, auch erwartete ich keineswegs von ihm und seiner Weisheit irgendeinen Trost. Ich wollte ihn nur reden hören, seine Weisheit als machtlos erweisen und ihn für sein Glücklichsein und seinen optimistischen Glauben strafen. Ich war nicht freundlich gewillt, nicht gegen ihn und gegen niemand.

Aber der Mann war durchaus nicht so selbstgefällig und in sein Dogma verschanzt, wie ich gedacht hatte. Er sah mir liebreich ins Gesicht, mit aufrichtigem Kummer, und schüttelte melancholisch den blonden Kopf.

»Sie sind krank, lieber Herr«, sagte er entschieden. »Vielleicht ist es nur körperlich, dann ist bald geholfen. Dann müssen Sie aufs Land, hart arbeiten und kein Fleisch essen. Aber ich glaube es sitzt anderswo. Sie sind gemütskrank.«

»Glauben Sie?«

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