Читаем Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке полностью

Da fand sich denn allerlei. Die Hauptsache war die: meine Mutter hatte in der Stadt eine einzige nahe Verwandte und Freundin, eine Cousine, die ein altes Fräulein war und wenig Umgang pflegte, mit meiner Mutter aber sehr enge Freundschafft unterhielt. Dieses Fräulein Schniebel hatte schon meinen Vater gar nicht geliebt, gegen mich aber einen richtigen Widerwillen gezeigt, so dass sie neuerdings nicht mehr ins Haus kam. Meine Mutter hatte ihr früher versprochen, sie zu sich zu nehmen, falls sie den Vater überlebe, und diese Hoffnung schien ihr mein Dableiben zu vereiteln. Als ich das allmählich erkundet hatte, machte ich dann der alten Dame einen Besuch und gab mir Mühe, mich ihr angenehm zu machen. Das Spiel mit Wunderlichkeiten und kleinen Intrigen war mir neu und machte mir beinahe Vergnügen. Es gelang mir, das Fräulein wieder in unser Haus zu bringen, und ich merkte, dass die Mutter mir dafür dankbar war. Allerdings taten sich die beiden nun zusammen, den von mir gewünschten Verkauf des alten Hauses zu hintertreiben, was ihnen wirklich gelang. Nun ging das Streben des Fräuleins dahin, meine Stelle im Hause einzunehmen und zu dem längst ersehnten warmen Altensitz zu gelangen, den ich ihr noch versperrte. Es wäre Raum genug für sie und mich gewesen, allein sie wollte keinen Hausherrn neben sich und weigerte sich, zu uns zu ziehen. Dagegen kam sie fleißig gelaufen, machte sich der Freundin in manchen kleinen Dingen unentbehrlich, behandelte mich diplomatisch wie eine gefährliche Großmacht und bemächtigte sich der Stellung einer Ratgeberin im Haushalt, die ich ihr nicht streitig machen konnte.

Meine arme Mutter ergriff weder ihre noch meine Partei. Sie war müde und litt tief unter der Veränderung ihres Lebens. Wie sehr der Vater ihr fehlte, merkte ich erst allmählich. Einmal traf ich sie beim Gang durch ein Zimmer, in dem ich sie nicht vermuten konnte, an einem Kleiderschrank beschäftigt. Sie erschrak über mein Dazukommen, und ich ging rasch weiter, doch sah ich wohl, dass sie die Kleider des Verstorbenen musterte, und nachher hatte sie rote Augen.

Als der Sommer kam, begann ein neuer Kampf. Ich wollte durchaus mit meiner Mutter verreisen, wir konnten beide eine Erholung wohl brauchen, ich hoft e dabei, sie zu ermuntern und mehr Einfluss auf sie zu gewinnen. Sie zeigte wenig Lust am Reisen, widersprach mir jedoch kaum; desto eifriger trat Fräulein Schniebel dafür ein, dass die Mutter dableibe und ich allein reise. Doch wollte ich hierin keineswegs nachgeben; ich versprach mir von der Reise viel. Es begann mir in dem alten Hause mit der armen, unruhig gewordenen und leidenden Mutter unheimlich zu werden; draußen hoffte ich der Mutter besser helfen und meine eigenen Gedanken und Launen besser beherrschen zu können.

So setzte ich es durch, dass wir gegen Ende des Juni abreisten. Wir fuhren in kleinen Tagreisen, sahen Konstanz und Zürich und fuhren über den Brünig dem Berner Oberland entgegen. Meine Mutter hielt sich still und müde, ließ die Reise über sich ergehen und sah unglücklich aus. In Interlaken begann sie zu klagen, sie schlafe nicht mehr, doch beredete ich sie, noch mit nach Grindelwald zu gehen, wo ich für sie und mich auf Ruhe hoffte. Auf dieser törichten, unendlichen, freudlosen Reise sah ich die Unmöglichkeit, dem eigenen Elend zu entrinnen und davonzulaufen, wohl ein. Da lagen die schönen, grünen Seen und spiegelten alte, prächtige Städte, da stiegen die Berge weiß und blau und strahlten blaugrüne Gletscher im Sonnenlicht. Wir beide aber gingen still und unerfreut an allem vorbei, schämten uns vor allem, waren von allem nur bedrückt und ermüdet. Wir machten unsere Spaziergänge, sahen an den Bergen empor, atmeten die leichte, süße Luft und hörten die Kuhglocken auf den Matten läuten, und wir sagten: »Das ist schön!« und wagten nicht, uns dabei in die Augen zu sehen.

Eine Woche hielten wir es in Grindelwald aus. Da sagte meine Mutter eines Morgens: »Du, es hat keinen Zweck, wir wollen umkehren. Ich möchte gern wieder einmal eine Nacht schlafen können. Und wenn ich krank werden und sterben soll, will ich’s zu Hause tun.«

Da packte ich schweigend unsere Koffer ein, gab ihr im stillen recht und fuhr mit ihr, schneller als wir hergekommen waren, den ganzen Weg zurück. Doch hatte ich nicht das Gefühl, in eine Heimat zurückzukehren, sondern in ein Gefängnis, und auch die Mutter zeigte nur eine leise Befriedigung.

Und am Abend des Heimkehrtages sagte ich zu ihr: »Was meinst du dazu, wenn ich allein verreise? Ich würde wieder nach R. fahren. Sieh, ich bliebe gern bei dir, wenn ich irgendeinen Nutzen darin sähe. Aber wir sind beide krank und freudlos und stecken einander nur immer wieder an. Nimm du deine Freundin ins Haus, die kann dich besser trösten als ich.«

Nach ihrer Gewohnheit nahm sie meine Hand und streichelte sie leise. Sie nickte dazu und sah mich mit Lächeln an, und das Lächeln sagte deutlich: »Ja, geh nur!«

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Джеймс Джойс – великий ирландский писатель, классик и одновременно разрушитель классики с ее канонами, человек, которому более, чем кому-либо, обязаны своим рождением новые литературные школы и направления XX века. В историю мировой литературы он вошел как автор романа «Улисс», ставшего одной из величайших книг за всю историю литературы. В настоящем томе представлена вся проза писателя, предшествующая этому великому роману, в лучших на сегодняшний день переводах: сборник рассказов «Дублинцы», роман «Портрет художника в юности», а также так называемая «виртуальная» проза Джойса, ранние пробы пера будущего гения, не опубликованные при жизни произведения, таящие в себе семена грядущих шедевров. Книга станет прекрасным подарком для всех ценителей творчества Джеймса Джойса.

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