Diese Grüße nun wurden neuerdings nicht mehr ausgerichtet. Den beiden Frauen war es allzuwohl ergangen, und sie hatte die Erfüllung ihrer Wünsche nicht ertragen. Namentlich war dem Fräulein die gute Zeit in die Krone gestiegen[77]
. Sie war sofort nach meinem Abgang mit Triumph an der Stätte ihres Sieges eingezogen und hatte ihre Wohnung in unserem Hause aufgeschlagen. Da hauste sie nun bei ihrer alten Freundin und Cousine und empfand es als ein durch lange dürftige Jahre wohlverdientes Glück, als Mitherrin in einem stattlichen Hauswesen sich wärmen und brüsten zu dürfen. Nicht dass sie kostbare Gewohnheiten angenommen und sich auf das Geuden gelegt hätte[78] – dazu war sie allzulange in gedrückten Verhältnissen und halber Armut gewesen. Sie trug weder feinere Kleider, noch schlief sie auf anderem Linnen[79]; vielmehr begann sie das Hausen und Sparen nun erst recht, da es sich lohnte und etwas zum Sparen da war. Aber worauf sie nicht verzichten wollte, das war Macht und Einfluss. Die beiden Mägde mussten ihr nicht minder gehorchen als meiner Mutter, auch gegen Dienstleute, Handwerker, Briefträger wusste sie herrschafftlich aufzutreten. Und allmählich, da ja Leidenschafften nicht durch Erfüllungen zu löschen sind, dehnte sie ihre Herrschsucht auch auf Dinge aus, in denen meine Mutter weniger bereitwillig nachgeben konnte. Sie wollte Besuche, die meine Mutter bekam, ebenso auf sich selbst bezogen wissen und nicht leiden, dass jene einen empfing, ohne sie dabei zu haben. Sie wollte Briefe, namentlich die von mir, nicht auszugsweise mitgeteilt haben, sondern selber lesen. Und schließlich entdeckte sie, dass im Hause meiner Mutter manches gar nicht so gehalten und besorgt und regiert wurde, wie sie es richtig fand. Vor allem schien ihr die Bewachung der Dienstboten nicht streng genug. War eine Magd des Abends außer Hause, unterhielt sich eine andere zu lange mit dem Briefträger, bat die Köchin um einen freien Sonntag, so rügte sie die Nachgiebigkeit meiner Mutter aufs strengste und hielt ihr lange Reden über die richtige Führung eines Hauswesens. Ferner tat es ihr bitter weh zu sehen, wie oft und gröblich die Regeln der Sparsamkeit verletzt wurden. Da wurden schon wieder Kohlen ins Haus geführt, da standen zu viele Eier auf der Abrechnung der Köchin! Sie trat mit Ernst und Eifer dagegen auf, und hier nahm die Veruneinigung der Freundinnen ihren Anfang.Nämlich das Bisherige hatte meine Mutter sich gerne gefallen lassen, wenn sie auch nicht mit allem einverstanden und in manchen Dingen von der Freundin, deren Verhältnis zu ihr sie sich anders mochte gedacht haben, enttäuscht war. Jetzt dagegen, wo alte und ehrwürdig gewordene Gewohnheiten des Hauses in Gefahr kamen, wo ihre tägliche Bequemlichkeit und der Hausfriede zu leiden begann, konnte sie ihre Einwendungen nicht zurückhalten und machte sich wehrhaft, worin sie freilich der Freundin es nicht gleichtun konnte. Es gab Auseinandersetzungen und kleine freundschafftliche Zankereien, und als die Köchin den Dienst aufsagte und von meiner Mutter nur mit Mühe und vielen Versprechungen, ja fast Abbitten gehalten werden konnte, begann die Machtfrage im Hause zu einem wirklichen Kriege zu führen.
Das Fräulein Schniebel, stolz auf ihre Kenntnisse, ihre Erfahrung, ihre Sparsamkeit und wirtschafftlichen Tugenden, konnte nicht einsehen, dass man ihr für alle diese Qualitäten keinen Dank wisse, und fühlte sich so sehr im Recht, dass sie mit einer Kritik der bisherigen Wirtschafftsführung, einem Tadel für die Hausfrauenkunst meiner Mutter und einer mitleidigen Verachtung für die Gebräuche und Eigenheiten des ganzen Hauses nicht mehr hinterm Berg hielt[80]
. Nun berief sich die Hausfrau auf meinen Vater, unter dessen Leitung und nach dessen Art es so viele Jahre lang im Hause gut gegangen war. Er hatte Kleinlichkeit und ängstliche Sparsamkeit nicht geduldet, er hatte den Dienstboten Freiheit und Rechte gegönnt, er hatte Mägdegezänk und Verdrossenheit gehasst. Als aber meine Mutter sich auf ihn berief [81], an dem sie früher wohl auch gelegentlich zu kritisieren gehabt hatte, der aber seit seinem Tode ihr zum Heiligen geworden war, da konnte Fräulein Schniebel nicht schweigen und erinnerte spitzig daran, wie sie schon längst ihre Meinung über den Seligen gehabt und geäußert habe, und meinte, es sei jetzt wohl an der Zeit, in dem Schlendrian einzuhalten[82] und Vernunft walten zu lassen. Sie habe ja aus Schonung für ihre Freundin nicht an das Andenken des Verewigten rühren wollen; da diese aber selber sich auf ihn beziehe, müsse sie gestehen, dass allerdings der alte Herr an manchen Übelständen im Hause schuld sei, dass sie aber nicht einsehe, warum das nun, da sie freie Hand hätten, weiter so bleiben solle.