Am Tage der Hochzeit fand ich mich zeitig in der Kirche ein und sah der Feier versteckt von der Orgel herab zu. Als der Organist mein Stücklein spielte, sah Gertrud herauf und nickte ihrem Bräutigam zu. Ich hatte sie diese ganze Zeit nicht mehr gesehen, sie sah im weißen Kleid noch größer und schlanker aus und ging anmutig ernst den geschmückten schmalen Pfad zum Altar, an der Seite des stolzen, ungebeugt schreitenden Mannes. Es hätte weniger gut und prächtig ausgesehen, wenn an seiner Stelle ich schiefer Krüppel diesen feierlichen Weg gegangen wäre.
Siebentes Kapitel
Es war schon dafür gesorgt, dass ich an die Hochzeit meiner Freunde nicht lange denken und meine Betrachtungen und Wünsche und Selbstquälereien nicht diesen Weg nehmen lassen konnte. An meine Mutter hatte ich in diesen Tagen wenig gedacht. Ich wusste zwar aus ihrem letzten Brief, dass es um Behaglichkeit und Frieden in ihrem Hause nicht glänzend bestellt sei, doch hatte ich weder Grund noch Lust, mich in den Streit der beiden Damen zu mischen, sondern ließ ihn mit einiger Schadenfreude als eine Tatsache bestehen, zu welcher mein Urteil entbehrlich war. Seither hatte ich geschrieben, ohne Antwort bekommen zu haben, und hatte mit dem Besorgen und Durchsehen der Abschriften für meine Oper genug zu tun, als dass ich mir über das Fräulein Schniebel Gedanken hätte machen können.
Da kam ein Brief von meiner Mama, der mich schon durch seinen ganz ungewohnt großen Umfang in Erstaunen setzte. Es war eine peinliche Anklageschrift gegen ihre Hausgenossin, aus der ich alle ihre Vergehungen wider den Haus- und Seelenfrieden meiner guten Mutter genau erfuhr. Es fiel ihr schwer, mir das zu schreiben, und sie tat es mit Würde und Vorsicht, allein es war ein kleines Geständnis der Täuschung, in der sie betreffs ihrer alten Freundin und Base[84]
gelebt hatte. Meine Mutter gab nicht nur meiner und meines seligen Vaters Abneigung gegen Demoiselle Schniebel durchaus recht, sie war sogar jetzt bereit, das Haus zu verkaufen, falls ich das noch wünsche, und ihren Wohnort zu wechseln, und alles nur, um der Schniebel zu entrinnen.»Es wäre vielleicht gut, wenn Du selber herkämest. Nämlich Lucie weiß schon, wie ich denke und was ich plane, sie ist darin sehr spürig; aber wir stehen zu gespannt miteinander, als dass ich ihr in der rechten Form das Nötige sagen könnte. Meine Andeutungen, dass ich lieber wieder allein im Hause wäre und dass sie entbehrlich sei, will sie nicht verstehen, und offenen Streit will ich nicht haben. Ich weiß, sie würde keifen und sich auf die Hinterbeine stellen, wenn ich sie direkt zum Gehen auffordern wollte. Da ist es besser, Du kommst und bringst das in Ordnung. Ich will keinen Skandal haben, und sie soll nicht zu kurz kommen, aber es muss ihr deutlich und bestimmt gesagt werden.«
Ich wäre auch bereit gewesen, den Drachen zu erschlagen, wenn Mama es verlangt hätte. Mit großem Vergnügen machte ich mich reisefertig und fuhr nach Hause. Dort merkte ich freilich gleich beim Eintritt in unser altes Haus, dass ein neuer Geist darin herrschte. Namentlich die große behagliche Stube hatte ein grämliches, unfreundliches, gedrücktes und ärmliches Aussehen bekommen, alles sah mühsam bewacht und geschont aus, und auf dem alten soliden Fußboden lagen sogenannte »Läufer«, lange Trauerstreifen aus billigem und hässlichem Stoff, um die Diele zu schonen und am Aufwaschen zu sparen. Das alte Tafelklavier, das seit Jahren unbenutzt im Salon stand, war gleichfalls mit einer solchen Schonhülle bekleidet, und obwohl die Mutter zu meiner Ankunft Tee und Gebäck bereit und alles ein wenig nett gemacht hatte, roch es doch nach altjüngferlicher Kümmerlichkeit und Naphthalin so unverwischbar, dass ich gleich beim Empfang die Mutter anlächelte und die Nase rümpfte, was sie sofort verstand.
Kaum saß ich im Stuhl, so kam der Drache herein, trabte über die Läufer auf mich zu und ließ sich Ehre erweisen, was ich tat, ohne zu sparen. Ich fragte eingehend nach ihrem Befinden und entschuldigte das alte Haus, das vielleicht nicht jede Bequemlichkeit biete, an die sie gewöhnt sei. Sehr über meine Mutter hinwegsprechend, nahm sie die Rolle der Hausfrau an sich, schaute nach dem Tee, erwiderte meine Höflichkeit eifrigst und schien zwar geschmeichelt, noch mehr aber beängstigt und misstrauisch gemacht durch meine übertriebene Freundlichkeit. Sie witterte Verrat, war aber genötigt, auf die angenehme Tonart einzugehen und selber ihren ganzen Vorrat von etwas antiquierten Artigkeiten auszubreiten. Unter lauter Ergebenheit und Hochachtung sahen wir die Nacht herankommen, wünschten einander herzlich den besten Schlaf und trennten uns wie Diplomaten der alten Schule. Doch glaube ich, der Kobold hat trotz des Zuckerbrots in jener Nacht wenig geschlafen, während ich befriedigt ausruhte und meine arme Mutter vielleicht nach manchen in Ärger und Betrübnis hingebrachten Nächten zum erstenmal wieder mit ungeschmälerten Hausfrauengefühlen im eigenen Hause einschlief.