Читаем Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке полностью

In dieser Zeit waren die Geschwister Teiser mir viel wert. Wir sahen uns beinahe täglich, wir lasen, musizierten miteinander, hatten Feste und Ausflüge gemeinsam. Nur im Sommer, da ich die rüstigen Wandersleute nicht beschweren wollte, trennten wir uns für einige Wochen. Die Teisers wanderten wieder in Tirol und Vorarlberg umher und schickten Schachteln mit Edelweiß[85]; ich aber hatte die Mutter zu ihren Verwandten in Norddeutschland gebracht, wo sie schon seit Jahren eingeladen war, und hatte mich an die Nordsee gesetzt. Da hörte ich Tag und Nacht das alte Lied des Meeres und ging in der herben, frischen Seeluft meinen Gedanken und Melodien nach. Von hier aus fand ich zum erstenmal das Herz, an Gertrud nach München zu schreiben – nicht an die Frau Muoth, sondern an meine Freundin Gertrud, der ich von meiner Musik und meinen Träumen erzählte. Vielleicht freut es sie, dachte ich, und vielleicht kann ihr auch ein Trost und Freundesgruß nicht schaden. Denn wider mein eigenes Herz musste ich meinem Freunde Muoth misstrauen und immer um Gertrud in einer leisen Sorge sein. Ich kannte ihn zu gut, den eigenwilligen Melancholiker, der gewohnt war, seinen Launen zu leben und nirgends ein Opfer zu bringen, den dunkle Triebe hinrissen und leiteten und der in nachdenklichen Stunden seinem eigenen Leben zusah wie einem Trauerspiel. Wenn das wirklich eine Krankheit war, das Einsamsein und Nichtverstandenwerden, wie es der gute Herr Lohe mir dargestellt hat, so litt Muoth an dieser Krankheit mehr als irgend jemand.

Doch hörte ich Nichts von ihm, Briefe schrieb er nicht. Auch Gertrud antwortete nur mit einem kurzen Dank und der Aufforderung, zeitig im Herbst nach München zu kommen, wo man gleich mit dem Anfang der Spielzeit mit dem Einstudieren meiner Oper fortfahren werde.

Anfangs September, als wir alle wieder in der Stadt und im gewohnten Leben waren, kamen wir einen Abend in meiner Wohnung zusammen, um meine Arbeit vom Sommer durchzusehen. Die Hauptsache war ein kleines lyrisches Stück für zwei Geigen und Klavier. Das spielten wir. Brigitte Teiser saß am Klavier, ich konnte über mein Blatt hinweg ihren Kopf mit dem schwarzen Kranz von blonden Zöpfen sehen, deren Ränder im Kerzenlicht golden flammten. Ihr Bruder stand neben ihr und spielte die erste Geige. Es war eine einfache, liedartige Musik, leise klagend und sommerabendlich verklingend, nicht froh noch traurig, sondern in verlorener Abendstimmung schwebend wie eine verglühende Wolke nach Sonnenuntergang. Das Stücklein gefiel den Teisers und besonders Brigitte. Sie pflegte mir selten etwas über meine Musik zu sagen, sondern sich in einer Art von mädchenhafter Ehrfurcht still zu verhalten und mich nur bewundernd anzusehen, denn sie hielt mich für einen großen Meister. Heute fasste sie sich ein Herz[86] und gab ihren besonderen Gefallen kund. Sie glänzte mich aus ihren hellblauen Augen innig an und nickte, dass das Licht auf ihren blonden Zöpfen tanzte. Sie war sehr hübsch, beinahe eine Schönheit.

Um ihr eine Freude zu machen, nahm ich ihre Klavierstimme, schrieb mit dem Bleistift über die Noten eine Widmung: »An meine Freundin Brigitte Teiser« und gab ihr die Noten zurück.

»Das soll jetzt immer über dem kleinen Lied stehen«, sagte ich galant und machte ein Kompliment[87]. Sie las die Widmung, langsam rot werdend, streckte mir die kleine, kräftige Hand hin und hatte plötzlich die Augen voll Tränen.

»Ist’s auch Ihr Ernst?« fragte sie leise.

»Es wird schon sein«, lachte ich. »Und ich finde, das Stücklein passt ganz gut zu Ihnen, Fräulein Brigitte.«

Ihr Blick, der noch voll Tränen war, setzte mich in Erstaunen, so ernst und frauenhaft war er. Doch achtete ich nicht weiter darauf, Teiser legte jetzt seine Geige weg, und meine Mutter, die seine Bedürfnisse schon kannte, schenkte den Wein in die Gläser. Das Gespräch wurde lebhaft, wir stritten über eine neue Operette, die vor einigen Wochen aufgeführt worden war, und der kleine Vorfall mit Brigitte fiel mir erst spät am Abend, als die beiden Abschied nahmen und sie mir seltsam unruhig in die Augen sah, wieder ein.

In München begann man unterdessen mein Werk einzustudieren. Da die eine Hauptrolle bei Muoth in den besten Händen war und Gertrud auch die Sopransängerin gelobt hatte, wurden mir das Orchester und die Chöre zur Hauptsache. Ich ließ meine Mutter in der Obhut der Freunde und fuhr nach München.

Am Morgen nach meiner Ankunft fuhr ich durch die schönen, breiten Straßen nach Schwabing und zu dem still gelegenen Hause, wo Muoth wohnte. Die Oper hatte ich völlig vergessen, ich dachte nur an ihn und an Gertrud und wie ich sie finden würde. Der Wagen hielt an einer fast ländlichen Nebenstraße vor einem kleinen Hause, das in herbstlichen Bäumen stand, gelbe Ahornblätter lagen zu beiden Seiten des Weges in Haufen gefegt. Beklommen trat ich ein, das Haus machte einen behaglichen herrschafftlichen Eindruck, ein Diener nahm mir den Mantel ab.

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